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Samstag, 20. April 2024

Energiespeicherung:
Mehr als große Batterien


[19.12.2014] Um das Ziel einer zu 100 Prozent erneuerbaren Energieversorgung zu erreichen, sind entsprechende Speichertechnologien wichtig. An Bedeutung gewinnen werden dabei nicht nur Batteriespeicher. Ein großes Potenzial haben auch Power to Gas und Power to Heat.

Dr. Hermann Falk: „Große und kleine Batteriespeicher werden in den kommenden Jahren stark an Bedeutung gewinnen.“ Es ist selten, dass es ein Stromspeicher in die Fernsehnachrichten schafft. Aber im September dieses Jahres war es so weit: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nahm Europas größten kommerziellen Batteriespeicher in Betrieb. Das Berliner Unternehmen Younicos hatte den Großspeicher in Schwerin für das Energieunternehmen Wemag entwickelt. In dem turnhallengroßen Gebäude sind 25.600 langlebige Lithium-Ionen-Zellen mit einer Kapazität von fünf Megawattstunden untergebracht.
Die Akkus können in Sekundenbruchteilen ihre Leistung abgeben und haben damit dasselbe Ausgleichspotenzial für das Stromnetz wie eine konventionelle 50-Megawatt-Turbine. Sobald die Frequenz im angeschlossenen Netz unter 50 Hertz fällt, speist der Batteriespeicher automatisch Strom ins Netz. Ab einem gewissen Wert oberhalb von 50 Hertz werden die Akkus wieder aufgeladen.

Strom aus dem Schwarm

Der Speicher in Schwerin ist in Deutschland sicher das spektakulärste Beispiel für die Leistungsfähigkeit dieser Technik. Aber auch in kleinerem Maßstab nehmen Speicher nicht nur Strom aus erneuerbaren Energien (EE) auf, um ihn dem einzelnen Kunden später wieder zur Verfügung zu stellen. Sie zeigen schon heute, dass EE einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Gesamtnetzes leisten können. Ein gutes Beispiel ist das gemeinsame Angebot des Energieversorgers Lichtblick und des Batterieherstellers Sonnenbatterie. Wenn Besitzer von Speichern sich bereit erklären, am Regelenergiemarkt teilzunehmen, erhalten sie eine feste Grundvergütung pro Jahr. Das heißt, sie stellen ihre Akkus zur Aufnahme von überschüssigem Strom zur Verfügung.
Kunden, deren Speicher mehr als 20 Kilowattstunden haben, können sich am so genannten Schwarmenergie-Konzept von Lichtblick beteiligen. Dafür werden ihnen bis zu 1.150 Kilowattstunden Strom pro Jahr unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Damit wird der Strombedarf der Kunden in den Zeiten gedeckt, in denen ihre Solaranlage nicht produziert und der Speicher nicht voll genug ist. Das Schwarmstrom-Konzept sieht vor, dass Lichtblick die Batterien seiner Kunden für einen gewissen Zeitraum steuern kann, wenn der Übertragungsnetzbetreiber vom gesamten Schwarm Regelenergie nachfragt.
Angesichts rapide fallender Akku-Preise werden große und kleine Batteriespeicher in den kommenden Jahren stark an Bedeutung gewinnen. Das sollte aber nicht verdecken, dass auch andere Speichertechnologien große Potenziale haben. Außerdem muss eine Flexibilisierung des Stromsystems dazu beitragen, den Markt besser auf die schnell wachsenden regenerativen Energien auszurichten. Pumpspeicherkraftwerke sind zwar kostengünstig, der Bau neuer Anlagen ist aber zumindest in Deutschland schwierig. Druckluftspeicher sind in der Anschaffung relativ billig, doch im Betrieb sind sie weniger effizient als Pumpspeicher.

Das Potenzial von Power to Heat

Ein größeres Potenzial haben sicherlich die Techniken Power to Gas und Power to Heat. Bei erstgenannter Technik wird überschüssiger Strom zur Produktion von Wasserstoff oder Methan verwendet. Diese Brennstoffe können dann wahlweise zur Erzeugung von Strom (zu einem späteren Zeitpunkt), zum Heizen oder im Verkehr eingesetzt werden. Power to Gas ist heute noch vergleichsweise teuer und wird voraussichtlich erst später wirtschaftlich.
Power to Heat ist kostengünstiger. Bei dieser Technik wird der Strom dazu genutzt, in Elektro- oder Elektrodenheizkesseln Wasser zu erhitzen und als Speicher einzusetzen. Nach einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) ist diese Technik dazu geeignet, zu geringen Investitionskosten Ökostrom zu speichern, der sonst abgeregelt werden müsste. Die Fraunhofer-Experten haben dabei drei Einsatzfelder für Power to Heat näher untersucht: den Regelenergiemarkt, die Vermeidung regionaler Netzengpässe sowie den Weiterbetrieb von Ökostromanlagen bei negativen Strompreisen.
Dem Anwendungsfall Regelenergie attestieren die Wissenschaftler „ein großes Potenzial zur Kostenreduktion“. Zudem könne Power to Heat hier die so genannte Must-Run-Kapazität konventioneller Kraftwerke je nach Marktsituation um „ein Mehrfaches“ reduzieren. Unter Must-Run-Kapazität versteht man die Kraftwerksleistung, die zur Stabilisierung des Stromnetzes unbedingt notwendig ist. Allerdings ist der Markt für negative Regelenergie begrenzt, so die IWES-Studie. Fraglich sei, ob das derzeit hohe Erlöspotenzial auch künftig noch bestehe. Umso wichtiger sei es, dass die Hemmnisse auf den beiden anderen Einsatzfeldern beseitigt würden.
Eine geringere Abregelung von Ökostromanlagen gilt als künftige alternative Einnahmequelle für Power to Heat. Auch dafür ist aber ein weiterer Netzausbau notwendig. Die dritte Anwendungsoption – der Aufkauf von Strom für Power-to-Heat-Anlagen bei stark negativen Preisen – ist ebenfalls von den künftigen Rahmenbedingungen abhängig. Nach IWES-Berechnungen wird im Jahr 2023 in etwa 350 bis 500 Stunden jährlich das Stromangebot die Nachfrage in Deutschland übersteigen. So ergibt sich hier ein Potenzial von bis zu 2,8 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. In den Jahren nach 2020, erst recht nach 2030, wird es immer längere Zeiträume geben, in denen mehr Ökostrom erzeugt als verbraucht wird. Dann werden Batteriespeicher, Power to Heat und mit Abstrichen Power to Gas sehr wichtig sein.

Nachfrage-Management nutzen

Schon heute sollte jedoch viel stärker die Flexibilitätsoption Nachfrage-Management (Demand-Side-Managment, DSM) in den Bereichen Industrie, Gewerbe und Haushalte genutzt werden. Die Studie „Möglichkeiten zum Ausgleich fluktuierender Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien“ im Auftrag des Bundesverbands Erneuerbare Energie kam aber im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass das heutige Marktdesign dafür zu geringe wirtschaftliche Anreize gibt. Stärker schwankende Strompreise würden hingegen dazu animieren, mehr Energie in Zeiten niedriger Preise zu beziehen und mehr Strom zu produzieren, wenn die Preise hoch sind. Die Erschließung von DSM-Potenzialen in Unternehmen sollte unterstützt werden, damit diese im Bedarfsfall bei entsprechenden Preissignalen schnell einsetzbar sind. Der Einsatz von Smart Metern ist dagegen nur für Privathaushalte mit hohem Stromverbrauch oder einer Wärmepumpe sinnvoll.
In jedem Fall aber sollte die stromgeführte Fahrweise von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und Biomasseanlagen stärker gefördert werden, sodass die erforderlichen Zusatzinvestitionen refinanziert werden können. Ein Ansatz wäre zum Beispiel eine höhere Flexibilitätsprämie oder eine nach Börsenstrompreis differenzierte KWK- beziehungsweise EEG-Förderung.

Autos als Speicher

Ein wichtiger Akteur bei der Flexibilisierung unseres Energiesystems und ein Speichermedium anderer Art wird der Bereich Verkehr sein. Züge werden immer häufiger mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen betrieben – neuerdings auch Busse. Die Zahl der Pkw mit rein elektrischem oder Hybridantrieb wird auch dank fallender Akkupreise in den nächsten Jahren deutlich zulegen. Dann können die Batterien dieser Autos eine wichtige Speicherfunktion im Gesamtnetz übernehmen. Der Betrieb von Autos mit Wasserstoff oder Methan aus EE-Strom wird ebenfalls an Bedeutung gewinnen.
Wenn wir all diese Optionen und die heute noch gar nicht absehbaren Technologien nutzen, kommen wir unserem Ziel einer zu 100 Prozent erneuerbaren Energieversorgung rasch näher und machen gleichzeitig unsere Umwelt lebenswerter.
Dr. Hermann Falk

Falk, Hermann
Dr. Hermann Falk, Jahrgang 1967, hat Jura studiert und im Jahr 1996 zu Verträgen rund um die Stromeigenerzeugung promoviert. Seit Februar 2013 ist er Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) in Berlin. Zuvor war Falk stellvertretender Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Stiftungen und parallel Geschäftsführer des Verbands Deutscher Wohltätigkeitsstiftungen.

http://www.bee-ev.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe November/Dezember von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Energieeffizienz, Speicherung, BEE, Hermann Falk

Bildquelle: Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE)

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