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Windkraft:
Mehr Schwung an Land


[27.9.2013] Die Nutzung der Windenergie stößt zurzeit auf einige Widerstände: Auf hoher See sorgt der Netzanschluss zum Festland für Probleme, an Land bereiten Artenschutz und Abstandsregelungen Kopfzerbrechen. Dennoch geht der Ausbau insgesamt zügig voran – dank Onshore-Windkraft.

Während an Land neue Windkraftanlagen entstehen, gerät der Zubau auf See ins Stocken. Befürworter der Offshore-Windenergie haben es in letzter Zeit nicht leicht. Seit der Inbetriebnahme des neuen Nordsee-Windparks Riffgat trotz fehlendem Netzanschluss hagelt es Kritik von allen Seiten: „Ökostrom-Irrsinn“, „Dieselschlucker“, „Riffgat produziert nur heisse Luft“. Angesichts solcher Schlagzeilen wirken die ehrgeizigen Ziele der Bundesregierung zum Ausbau der Offshore-Windenergie etwas aus dem Rahmen gefallen. Bis 2020 sollen zehn Gigawatt installierte Leistung aus dem Norden für die Verbraucher bundesweit zur Verfügung stehen. Momentan sind in deutschen Gewässern gerade einmal 68 einsatzbereite Windkraftanlagen mit insgesamt 280 Megawatt Leistung installiert. Zum Vergleich: An Land sind es über 23.000 Anlagen, die zusammengenommen mehr als 30 Gigawatt erzeugen.
An die Vision Aquatec, wie sie vor einiger Zeit in Anlehnung an das Wüstenstrom-Großprojekt Desertec formuliert wurde, will deshalb niemand mehr so recht glauben. Der Versuch, alle Nordsee-Anrainerstaaten inklusive des Englischen Kanals in einem gemeinsamen Netzverbund zu vereinen, erscheint in der gegenwärtigen Lage fraglich. Erst kürzlich haben die fünf norddeutschen Bundesländer einen gemeinsamen Appell an die Bundesregierung gerichtet, die Windenergienutzung auf hoher See nicht weiter zu vernachlässigen. Die Offshore-Windindustrie befände sich in einer kritischen Phase – „am Scheideweg“ ihrer bisherigen Entwicklung.

Verlässliche Säule

Derweil geht der Zubau an Land kräftig weiter. Fast überall werden zwischen Gemeinden, Netzbetreibern und Herstellern Verträge für die Errichtung und den Betrieb neuer Windparks abgeschlossen. Deutschlandweit bleibt der Markt für Onshore-Windenergie stabil: Die Zuwachsrate an neu installierter Leistung beträgt derzeit 8,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, Tendenz weiter steigend. Unter den erneuerbaren Energien stellt Onshore-Windenergie zudem die kostengünstigste Form der Energiegewinnung dar. Nicht einmal neun Cent pro Kilowattstunde betrug die durchschnittliche EEG-Vergütung im Jahre 2011. Onshore-Windenergie entwickelt sich scheinbar mühelos zu einer verlässlichen Säule bei der Umsetzung der Energiewende.
Doch auch hier verläuft nicht alles ohne Probleme: Während der Netzbetreiber Tennet beim Netzanschluss der Windparks mit vor sich hin rottenden Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg zu kämpfen hat, wird für manches Windenergie-Projekt an Land vor allem die Sprengkraft öffentlicher Meinung zur Gefahr. Immer größer, immer höher, immer besser – mit dieser Formel lässt sich bei betroffenen Anwohnern meist wenig Sympathie gewinnen.
Dabei stimmen die Meinungsumfragen der vergangenen Jahre durchaus positiv. Laut einer repräsentativen Studie des Unternehmens TNS Infratest aus dem Jahr 2012 befürworten die meisten Bürger in Deutschland den weiteren Ausbau der Windenergienutzung. Mehr als die Hälfte der befragten Personen hat nach eigenen Angaben nichts gegen Windkraftanlagen in der unmittelbaren Nachbarschaft einzuwenden. „Gut“ oder „sehr gut“ finden dies 61 Prozent. Dort, wo Anwohner bereits Erfahrungen mit dieser Form der Energiegewinnung gesammelt haben, steigt der Wert sogar auf 73 Prozent. Windenergie stößt in Deutschland generell auf eine hohe Akzeptanz. Laut dem Bundesverband Windenergie gibt es meist nur an vereinzelten Standorten Ablehnungen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie betreffen unter anderem die Veränderung des Landschaftsbilds, gesundheitliche Bedenken oder den Artenschutz. Zudem spielen gelegentlich auch politische Befindlichkeiten, ein allgemeines Unbehagen gegen Großprojekte oder die Angst vor sozialen Verwerfungen eine Rolle. Bewährtes Mittel sind dann Bürgerbegehren, die sich in politischen Stellungnahmen, Klagen oder auch in kritischen Auseinandersetzungen mit den entsprechenden Aufsichtsbehörden äußern.

Vorrang Landschaftsschutz

Dies zeigt ein aktueller Fall aus Baden-Württemberg. Das Land im Südwesten gehört zu den Schlusslichtern bei der Windenergienutzung in Deutschland. Bisher sind hier knapp 400 Windkraftanlagen im Einsatz, die zusammengenommen etwa 500 Megawatt Leistung liefern (Spitzenreiter in Deutschland ist Niedersachsen mit über sieben Gigawatt). In den nächsten Jahren sollen deshalb rund 1.200 neue Anlagen hinzukommen. Bis 2020 will die grün-rote Landesregierung etwa zehn Prozent des benötigten Stroms durch Windkraft gedeckt sehen. Angesichts dieser politischen Rückendeckung müsste es für Investoren und Projektplaner eigentlich ein Leichtes sein, passende Standorte für Windenergieanlagen in Baden-Württemberg zu finden – wären da nicht die Bestimmungen zum Artenschutz. So hatten die Stadtwerke Tübingen lange Zeit vergeblich versucht, eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Windparks zu erhalten. Grünes Licht für den Bau von fünf Windkraftanlagen an einem nahegelegenen Standort bei Horb schien dabei schon so gut wie sicher. Doch dann mischten sich Artenschützer in das Verfahren ein. Ein Petitionsverfahren stoppte schließlich das Projekt, weil sich der potenzielle Standort auf einem Landschaftsschutzgebiet befand und die Population einer seltenen Vogelart zur Diskussion stand. Gerade einmal 14 Tage benötigten die Kritiker, um die Windenergiepläne der Stadtwerke Tübingen zu Fall zu bringen. Ein passender Standort fand sich schließlich außerhalb Baden-Württembergs: in Neunkirchen im Bayerischen Odenwald. Dort werden zurzeit zwei Windkraftanlagen vom Energiedienstleister Green City Energy errichtet.
Im Nachbarland Bayern ist die Lage ebenfalls angespannt: Hier hat sich neuerdings Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zum Sprachrohr einer Anti-Windenergiebewegung gemacht. So soll Windkraft zwar weiterhin eine wichtige Rolle bei der zukünftigen Gestaltung der Energiewende in Bayern spielen, aber nicht auf Kosten des Landschaftsbildes. Der unkontrollierte Zubau müsse verhindert werden. Seehofer erklärte nach einer Sitzung des CSU-Vorstands Mitte Juni, dass es mit ihm keine „Verspargelung“ Bayerns geben werde. Eine Änderung der gesetzlichen Abstandsregelung sei im Interesse der Bürger: Künftig soll die Entfernung von Windenergieanlagen zu Siedlungen das Zehnfache der Anlagenhöhe betragen. Eine 200 Meter hohe Windkraftanlage müsste demnach eine Distanz von zwei Kilometern aufweisen. Naturgemäß stößt solch ein Vorschlag nicht bei allen auf offene Ohren. Hubert Weiger, Sprecher des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Eine Abstandsregelung von 2.000 Metern ist nicht mit Landschaftsschutz zu begründen. Ganz im Gegenteil würde diese Regelung dazu führen, dass künftig Windkraftanlagen in großen geschlossenen Waldgebieten gebaut werden müssten.“
Einen entsprechenden Gesetzesantrag zur Änderung der Abstandsregelungen hatte der Freistaat Bayern gemeinsam mit Sachsen im Juli dieses Jahres in den Bundesrat eingebracht. Anfang September wurde der Gesetzesvorschlag allerdings wieder zurückgezogen. In Bayern sind im übrigen gerade einmal rund drei Prozent der in Deutschland installierten Windleistung zu finden.

Finanzielle Beteiligung

Dass es auch anders gehen kann, zeigen Beispiele aus Mittel- und Norddeutschland. Hier sind Windkraftanlagen im Landschaftsbild wesentlich präsenter. Erste Erfahrungen mit der kommerziellen Nutzung von Windenergie liegen meist länger zurück. Vor allem im Norden Deutschlands hat sich so über die Jahre hinweg ein konstruktives Zusammenspiel zwischen Projektplanern und Bürgern entwickelt. So genannte Bürgerwindparks erlauben es einzelnen Anwohnern, sich direkt an den Windkraftanlagen zu beteiligen, sei es bei der Planung oder an der finanziellen Ausschüttung aus dem Betrieb der Anlagen. So wurde beispielsweise in der Stadt Geilenkirchen in Nordrhein-Westfalen von der ortsansässigen Kreissparkasse ein Umweltsparbrief aufgelegt. Der Mindesteinsatz lag bei 1.000 Euro und soll über die nächsten Jahre mit knapp drei Prozent verzinst werden. Für die ansässigen Bürger wird der Windpark damit zur Geldanlage.
Ein anderes Beispiel stammt aus Rheinland-Pfalz. Dort errichtet das Unternehmen juwi derzeit mehrere Windkraftanlagen in Rehborn. Die Gemeinde hat mit den Grundstücksbesitzern einen Kompromiss ausgehandelt: Die Pachteinnahmen aus der Nutzung des Windpark-Areals sollen geteilt werden. Ein Drittel geht an die Grundstücksbesitzer, ein Drittel an die Gemeinde. Mit dem letzten Drittel soll ein Fonds gespeist werden, aus dem alle Grundeigentümer ohne Windräder einen flächenbezogenen Anteil erhalten. So profitieren möglichst viele Parteien von der neuen Investition. Einige Gemeinde nutzen die zusätzlichen Einnahmequellen aus Pacht- und Gewerbesteuereinnahmen gezielt zur Schuldentilgung oder zur Förderung sozialer Projekte. Das kommt auch denjenigen Bürgern zugute, die sich an den Investitionen nicht beteiligt haben.
All diese Beispiele zeigen: Bei jeder Form der Windenergienutzung können Widerstände und Reibungen entstehen. Ob an Land oder zu Wasser, die Windkraft bleibt eine große Herausforderung. Zurzeit ist der Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland etwas ins Stocken geraten. Onshore-Windenergie hingegen erscheint besser beherrschbar und ist in weiten Teilen Deutschlands auf dem Vormarsch. Doch das sagt nichts über die zukünftige Entwicklung der Windenergie als Ganzes. Es bleibt abzuwarten, ob sich Bürgerbeteiligungen wie in Mittel- und Norddeutschland weiter etablieren, und inwiefern der Kraftakt von Politik und Wirtschaft auf hoher See seinen Abschluss findet.

Marc Tosenberger

Der Beitrag ist in der September-Ausgabe von stadt+werk im Schwerpunkt Windenergie erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Windenergie, juwi, Tennet, BUND, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Horst Seehofer, Bürgerbeteiligung, Landschaftsschutz

Bildquelle: Siemens

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