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Netzplanung:
Kein Bedarf


[30.5.2014] Der Bau von Hochspannungsleitungen ist hochumstritten. Ein Argument gegen die Gleichstrompassage Süd-Ost lautet: Die Trasse dient nur dazu, Braunkohlestrom nach Bayern zu transportieren und widerspricht damit den energiepolitischen Zielen der Bundesregierung.

Die Gleichstrompassage Süd-Ost ist zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nicht notwendig. Die Stromtrasse von Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) nach Meitingen (Bayern) ist eine von drei im Bundesbedarfsplan vorgeschlagenen Leitungen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ-Technik), welche derzeit sowohl auf lokaler, landes- aber auch bundespolitischer Ebene kontrovers diskutiert werden. Die Leitung fand erstmals im Netzentwicklungsplan 2012 Erwähnung und wurde von der Bundesnetzagentur in den Bundesbedarfsplan übernommen. Als Begründung wird der Ausbau der erneuerbaren Energien in den neuen Bundesländern genannt. Allerdings liegen bis zum heutigen Tag keine konkreten quantitativen und transparent nachvollziehbaren Belege für diese Behauptung vor.
Die aktuelle Auseinandersetzung über die Notwendigkeit der so genannten Gleichstrompassage Süd-Ost steht stellvertretend für grundlegendere Kritik an der Methodik der Netzplanung in Deutschland sowie deren Resultaten: Statt das NOVA-Prinzip (Netzoptimierung, -verstärkung und -ausbau) behutsam umzusetzen, sieht der Netzentwicklungsplan die Einspeisung auch der letzten Kilowattstunde Braunkohlestroms sowie andere Maßnahmen vor, welche zu einem maximalen Ausbau führen. Hingegen werden technische Innovationen wie Leiterseil-Monitoring oder Hochtemperaturseile, welche den Ausbaubedarf weiter reduzieren könnten, nur unzureichend berücksichtigt. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sieht eine Überarbeitung des Bundesbedarfsplans spätestens alle drei Jahre vor, dies wäre 2016/2017. Daher ist jetzt ein guter Zeitpunkt, nicht nur die Süd-Ost HGÜ-Leitung, sondern die gesamte Bundesbedarfsplanung kritisch zu hinterfragen.

Braunkohlestrom für Bayern

Die Bewertung der Stromtrasse muss vor dem Hintergrund der energie- und umweltpolitischen Ziele der Bundesregierung erfolgen: Dabei hat die Große Koalition die Ziele des Energiekonzepts 2010 weitgehend übernommen, unter anderem den Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung von über 50 Prozent bis zum Jahr 2030 und über 80 Prozent bis 2050 sowie die Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 und um 80 bis 95 Prozent bis 2050 (auf Basis des Jahres 1990).
Die Gleichstrompassage Süd-Ost ist dazu ausgelegt, Braunkohlestrom aus Mitteldeutschland und der Lausitz in Richtung Bayern zu transportieren, dies entspricht mitnichten den Zielen der Energiewende. Im Umkreis des Einspeisepunktes in Bad Lauchstädt stehen fünf der größten deutschen Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt 10.500 Megawatt (MW): Schkopau und Lippendorf im Raum Leipzig sowie Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg in der Lausitz. Zwar gibt es in der Region auch eine zunehmende Anzahl von Windparks sowie Photovoltaikanlagen, jedoch ist der Anteil des ins Höchstspannungsnetz eingespeisten Stroms im Vergleich zum Braunkohlestrom vernachlässigbar (rund 20 Prozent).
Derzeit werden in Mittel- und Ostdeutschland zwei neue Braunkohlekraftwerke geplant, welche durch zusätzliche Stromleitungskapazitäten gefördert würden: Bei Halle/Leipzig wird ein 650-MW-Braunkohlekraftwerk in Profen geplant, in der Lausitz ein 2.000-MW-Braunkohlekraftwerk am Standort Jänschwalde. Zur Versorgung dieser Kraftwerke mit Rohbraunkohle ist der Aufschluss von drei neuen Braunkohletagebauen geplant: Lützen (Raum Halle/Leipzig) sowie Welzow II und Nochten II (bei Cottbus).

Versorgung gewährleistet

Die Süd-Ost-Leitung ist energiewirtschaftlich und -technisch nicht erforderlich. Lastflussberechnungen mit einem technisch-ökonomischen Modell des deutschen und europäischen Stromsystems zeigen, dass die Versorgungssicherheit Süddeutschlands nach dem Atomausstieg Mitte der 2020er-Jahre auch ohne die Leitung gewährleistet ist. Zum einen gibt es eine gut entwickelte Netzinfrastruktur, welche durch geringfügige Ergänzungen noch leistungsstärker gestaltet werden kann, zum anderen stehen eine Reihe von alternativen Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung, etwa die Kraftwerke in Süddeutschland und den Alpenländern, Last-Management sowie Speicherausbau. Selbst wenn beide Braunkohlekorridore (HGÜ-Leitung Rheinland-Karlsruhe sowie die Süd-Ost HGÜ-Leitung) nicht gebaut werden, ist die Versorgungssicherheit nicht gefährdet.
Die Verschiebung der weiteren Planung durch den Netzbetreiber Amprion sowie die angekündigte Überarbeitung des Netzentwicklungsplans geben nunmehr Gelegenheit, die Notwendigkeit der Gleichstrompassage Süd-Ost zu hinterfragen und die bisherige Planung auf ihre Annahmen kritisch zu durchleuchten. Dabei müssen sowohl der Szenariorahmen 2015 als Grundlage der Netzplanung als auch deren Methodik den Erfordernissen der Energiewende angepasst werden. Fundierte Antworten auf die derzeit kontrovers diskutierten Fragen können daher frühestens in den Netzentwicklungsplan 2015/2016 Eingang finden.

Prof. Dr. Christian von Hirschhausen leitet das Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP) am Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht der Technischen Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem angewandte Industrieökonomik, Infrastruktur- und Netzwerkökonomie sowie Public Sector Management.

Die HGÜ-Stromautobahn Süd-Ost ist nicht nur unnötig,
sondern unterminiert explizit die Ziele der Energiewende in Bezug auf Klimaschutz und erneuerbare Energien. Die Leitung würde den Bau von ein oder zwei Braunkohlekraftwerken in Mitteldeutschland fördern, wodurch die Braunkohletechnologie für die nächsten 60 Jahre im deutschen Energiemix verbleiben würde. Deutschland müsste sich nicht nur von seinen Klimazielen für 2020 verabschieden, auch die Ziele für 2050 würden unerreichbar. Unabhängig davon würden durch die Intensivierung der Braunkohlenutzung in den neuen Bundesländern mehr als 3.500 Menschen ihre Heimat verlieren, weil 15 zusätzliche Dörfer abgebaggert werden. Deshalb gilt: Die Stromtrasse ist energiewirtschaftlich überflüssig, umweltökonomisch verheerend und gesellschaftlich nicht akzeptabel. Von Prof. Dr. Christian von Hirschhausen

http://www.wm.tu-berlin.de
Dieser Beitrag ist in der Mai-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Smart Grid, Netze, Politik

Bildquelle: 50Hertz Transmission

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