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Freitag, 29. März 2024

Erdgas:
Von der Quelle bis zum Markt


[13.2.2015] Erdgas ist ein idealer Wegbereiter für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Und: Die Versorgung ist auch durch politische Krisen nicht gefährdet, sagt Hans-Joachim Polk, Vorstandsmitglied von Verbundnetz Gas (VNG), im stadt+werk-Interview.

Hans-Joachim Polk: „Ich sehe im Wärmemarkt weitere Entwicklungsmöglichkeiten für Erdgas.“ Herr Polk, der Energieträger Erdgas spielt eine wichtige Rolle für die Energiewende in Deutschland. Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Vollkommen. Wir können zu Recht behaupten, dass Erdgas ein zuverlässiger Partner der erneuerbaren Energien und ein idealer Wegbereiter für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende ist – oder besser, sein könnte. Erdgas nimmt hier noch nicht die Rolle ein, die sich aufgrund seiner vielfältigen Eigenschaften anbieten würde. Die Energiewende braucht vor allem Energieträger, die Flexibilität, Umweltverträglichkeit und Zuverlässigkeit in sich vereinen. Erdgas besitzt all diese Eigenschaften. Es ist die kostengünstigste Lösung, um die CO2-Emissionen zu reduzieren und kann als Partner der erneuerbaren Energien die hohe Volatilität von Wind- und Sonnenenergie ausgleichen. Kurzum: Erdgas hat das Potenzial, den nachhaltigen Umbau des Strom- und Wärmemarktes und damit die Energiewende in Deutschland voranzutreiben.

Nun ist Russland eines der wichtigsten Lieferländer. Gefährden die Ukrainekrise und die Sanktionen gegen Russland die Versorgungssicherheit in Deutschland?

Wir haben in Deutschland seit vielen Jahrzehnten eine sichere und leistungsfähige Gasversorgung, daran hat auch die Ukrainekrise nichts geändert. Die deutschen Unternehmen der Gaswirtschaft setzen seit vielen Jahren auf einen klugen Mix aus Handel, Produktion und langfristigen Lieferbeziehungen und dazu noch auf leistungsfähige Transport- und Speicherinfrastrukturen. Sie beziehen ihr Erdgas aus verschiedenen in- und ausländischen Quellen, über zahlreiche Transportwege und von liquiden Großhandelsmärkten. Das 477.000 Kilometer lange Gasleitungsnetz ist modern und in den 51 Speicheranlagen kann mehr als ein Viertel der jährlich in Deutschland verbrauchten Erdgasmengen eingespeichert werden. Damit gehört der deutsche Erdgasmarkt zu den versorgungssichersten Märkten überhaupt. Das hat im Übrigen auch die EU-Kommission als Ergebnis ihres im Oktober 2014 veröffentlichten Stresstests bestätigt.

Der Gasmarkt wird auch von einer anderen Entwicklung beeinflusst. Wie wirkt sich der Fracking-Boom in den USA hierzulande aus?

Im Grunde ist der Fracking-Boom nur eine von mehreren Entwicklungen, die in den vergangenen Jahren das Marktumfeld für Erdgas wesentlich beeinflusst haben. Schon 2009 konnten wir ein Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage an den Handelsmärkten bemerken, was zu einem Preisverfall für Erdgas führte. Die Gründe lagen einmal im Rückgang der weltweiten Industrieproduktion infolge der Finanzkrise. Dadurch gab es weltweit eine geringere Erdgasnachfrage. Zusätzlich erhöhte sich das europäische Erdgasangebot durch eine Zunahme der Flüssiggasmengen (LNG). Ursprünglich waren die Produzenten von einer größeren Nachfrage auf dem US-Markt ausgegangen, aber durch die dortige Förderung von unkonventionellem Gas war genau das Gegenteil eingetreten: Die USA wurden fast importunabhängig. Die Folgen dieser Entwicklung können wir auch heute noch an den Marktpreisen beobachten.

Welche Marktentwicklungen erwarten Sie auf mittlere Sicht?

Im deutschen Energiemarkt herrscht im Bereich des Gashandels auf allen Wertschöpfungsstufen nach wie vor ein starker Wettbewerb, insbesondere auf der Großhandelsebene. Das zeigt sich auch auf den ausländischen
Märkten, in denen wir aktiv sind. In den verschiedenen Anwendungsbereichen von Erdgas sehe ich vor allem im Wärmemarkt weitere Entwicklungsmöglichkeiten: Hier ist Erdgas bereits die Heizenergie Nummer eins, jedoch steckt dort ein riesiges Energieeinsparpotenzial, dem wir uns dringend widmen müssen. Fast 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Wärmemarkt. Zudem ist er für ein Drittel des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Hier können wir mit einer sicheren, modernen und effizienten Heizungstechnik auf Erdgasbasis, insbesondere der Erdgasbrennwerttechnik, Lösungen anbieten.

Wie kann die VNG-Gruppe zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland beitragen?

Für uns als Unternehmen der Erdgaswirtschaft ist die zuverlässige Versorgung unserer Kunden Kernelement der täglichen Arbeit. Und die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass wir aufgrund der breiten Diversifizierung unserer Bezugsquellen und Transportwege langfristig bestens aufgestellt sind. Wir kaufen einen Großteil unserer Erdgasmengen bei den Produzenten in Norwegen, Russland und Deutschland. Mehr als die Hälfte unserer Lieferungen beziehen wir mittlerweile über Spot-Märkte sowie nationale und internationale Handelsplattformen. Im Infrastrukturbereich haben wir mit unseren Töchtern Ontras und VNG Gasspeicher zwei leistungsstarke Unternehmen an Bord, die zuverlässig ihrer Verantwortung für die technische Versorgungssicherheit nachkommen. Auch unser Engagement in die Exploration und Produktion (E&P) von Erdgas in Norwegen ist auf lange Sicht ein weiterer Garant dafür.

Hat sich die verstärkte Exploration von Lagerstätten in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Geschäftsbereich der VNG entwickelt?

Richtig. E&P ist neben dem Gashandel, der Gasspeicherung und dem Gastransport einer der vier Kerngeschäftsbereiche der VNG-Gruppe. Damit sind wir von der Quelle bis zum Markt aufgestellt. Im Jahr 2006 haben wir unsere Tochter VNG Norge gegründet und sind mit ihr ins Upstream-Geschäft eingestiegen. E&P ist damit unser jüngster Geschäftsbereich, der inzwischen aber einen wichtigen Teil unserer Wachstumsstrategie ausmacht und die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit der VNG-Gruppe zusätzlich sichern soll. Mittlerweile haben wir uns zu einem anerkannten Player im E&P-Bereich entwickelt. Wir halten Beteiligungen an 37 Lizenzen in Norwegen und 2 Lizenzen in Dänemark und sind an vier produzierenden Feldern in Norwegen beteiligt. Auch unser jüngster Öl- und Gasfund auf das Pil und Bue-Prospekt in der Norwegischen See untermauert diese positive Entwicklung. Hier konnten wir einen der größten Funde auf dem norwegischen Kontinentalschelf im Jahr 2014 verzeichnen, ein wichtiger Schritt in unserer Wachstumsstrategie.

Kommen wir vom Bohrloch zum Markt. Im Gasverkauf zählen auch Stadtwerke zu ihren Kunden. Welche Produkte und Dienstleistungen bieten sie diesen an?

Wir haben Erdgas mit all seinen Anwendungsmöglichkeiten auf Lager. Unsere Kunden bekommen bei uns ein individuelles Rundum-sorglos-Paket mit maßgeschneiderten, flexiblen Angeboten und umfassenden Dienstleistungen. Die Wahlmöglichkeiten reichen von der marktorientierten Vollversorgung bis hin zu entsprechenden flexiblen Lieferungen. Alle Module lassen sich am Wunsch unserer Kunden einzeln ausrichten oder zu integrierten Komplettlösungen für unterschiedliche Anforderungen der Energieversorgung verknüpfen. Unsere Lieferkonzepte sind optimal auf die Vertriebsmengen und -strukturen, auf das Sicherheitsbedürfnis sowie auf die Logistik unserer Kunden eingestellt. Außerdem legen wir viel Wert auf eine starke Präsenz vor Ort und auf die Nähe zu unseren Kunden. Deshalb sind wir mit unseren zehn Regionalbüros deutschlandweit vertreten.

„Deutschland gehört zu den versorgungssichersten Märkten überhaupt.“

Welche Ansprüche haben die kommunalen Energieversorger heutzutage?

Bei kommunalen Energieversorgern steht vor allem die Versorgungssicherheit im Vordergrund. Dazu gehören eine hohe Mengen- und Planungssicherheit sowie ein geringer Abwicklungsaufwand. Hier können wir als VNG besonders punkten. Wir bieten nicht einfach nur Erdgas in jeder beliebigen Menge und Strukturierung an, sondern legen noch ein besonderes Extra obendrauf: den Sicherheitsfaktor. Unser Geschäftsmodell macht es möglich, dass wir zu jeder Zeit bedarfsgerecht und zuverlässig Erdgas liefern, weil wir zum Beispiel entsprechend große Kapazitäten im Leitungsnetz buchen, Mengen in Gasspeichern einlagern oder über die Kollegen vom Trading auch kurzfristig Erdgas beschaffen. So ist die Erdgasversorgung unserer Kunden stets gewährleistet, auch wenn es im Winter mal etwas kälter wird.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Erdgas gilt unter den fossilen Energieträgern als besonders klimafreundlich. Jetzt wollen Forscher herausgefunden haben, dass Erdgas nicht zu einer Verringerung der Erderwärmung beitragen kann. Was entgegnen Sie den Wissenschaftlern?

Diese Argumentation geht davon aus, dass die CO2-Emissionen in Zukunft steigen werden, wenn Kohle durch Erdgas ersetzt wird. Als Grund nennen die Forscher unter anderem den Fracking-Boom in den USA, der für ein Überangebot an billigem Erdgas sorgt und den Ausstoß von Methan aus Bohrlecks erhöhe. Das wiederum erhöht nach Ansicht der Forscher den Energieverbrauch. Meine Antwort darauf ist, dass diese Argumentation erstens nicht die Klimafreundlichkeit von Erdgas anzweifelt, sondern durchaus bestätigt, dass Erdgas unter allen fossilen Energieträgern durch seinen geringen CO2-Ausstoß und die hohen Wirkungsgrade eine hervorragende Kohlendioxidbilanz hat. Zweitens ist es nicht unser Ziel, die Energieversorgung von morgen komplett auf Erdgas basieren zu lassen. Wir sehen Erdgas als idealen Partner der erneuerbaren Energien, sei es im Wärmemarkt, im Bereich der Mobilität oder in der Stromerzeugung. Schon jetzt stehen im Erdgasbereich eine Vielzahl an effizienten Technologien und Maßnahmen zur Verfügung, mit denen signifikante Energieeinsparungen und CO2-Minderungen sofort generiert werden können – und das in einem sozialverträglichen und kosteneffizienten Rahmen. Ich bin somit überzeugt, dass Erdgas auch in Zukunft eine Schlüsselrolle als effizienter Energieträger einer nachhaltigen Energieversorgung spielen wird.

Interview: Alexander Schaeff

Polk, Hans-Joachim
Im Januar 2014 übernahm Hans-Joachim Polk als neues Vorstandsmitglied das Ressort Infrastruktur und Technik bei der Verbundnetz Gas AG (VNG). Der studierte Erdöl- und Erdgastechniker war zuvor viele Jahre bei der RWE Dea AG in verschiedenen nationalen sowie internationalen Positionen im Bereich der Exploration und Produktion tätig.

http://www.vng.de
Dieses Interview ist in der Ausgabe Januar/Februar von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Erdgas, Verbundnetz Gas, Unternehmen

Bildquelle: Verbundnetz Gas (VNG)

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