Montag, 11. August 2025

AI4GridsNetze optimal steuern

[11.08.2025] Im Rahmen des Projekts AI4Grids wurden KI-gestützte Methoden entwickelt und getestet, die eine optimierte Betriebsführung und Planung von Verteilnetzen ermöglichen. Das soll auch bei zunehmender Dezen­tralisierung die Stabilität der Netze gewährleisten.

KI-gestützte Betriebsführung kann helfen, dezentrale Anlagen und Geräte reibungslos in die bestehenden Netze zu integrieren.

(Bildquelle: Halfpoint/stock.adobe.com)

Die Energiewende bringt eine Vielzahl neuer Erzeuger und Verbraucher mit sich: Photovoltaikanlagen auf privaten Dächern, elektrische Wärmepumpen in Haushalten und nicht zuletzt der zunehmende Einsatz von Elektrofahrzeugen. Für die Netzbetreiber in Deutschland stellt das eine erhebliche Herausforderung dar, denn all diese Anlagen und Geräte müssen möglichst reibungslos in die bestehenden Mittel- und Niederspannungsnetze integriert werden, ohne die Netzstabilität zu gefährden.

Das Projekt AI4Grids widmete sich genau diesem Thema und entwickelte KI-gestützte Methoden zur Optimierung der Betriebsführung und Planung von Verteilnetzen. Ziel war es, trotz der zunehmenden Dezentralisierung und Elektrifizierung die Sicherheit und Stabilität der Netze zu gewährleisten – und das ohne aufwendigen und kostenintensiven Netzausbau.

Das im Dezember 2023 abgeschlossene Forschungsprojekt war Teil der KI-Leuchtturminitiative des Bundesministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Verbundpartner waren die HTWG Hochschule Konstanz, das International Solar Energy Research Center (ISC) Konstanz, das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE sowie das Stadtwerk am See, die Energiedienst-Gruppe und als assoziierter Partner die Stadtwerke Konstanz.

Im Mittelpunkt von AI4Grids stand die Entwicklung eines Gesamtalgorithmus, der verschiedene KI-Modelle und klassische Verfahren zu einem integrierten, echtzeitfähigen Steuerungssystem für Verteilnetze mit hohem Anteil erneuerbarer Energien und Elektrofahrzeugen vereint. Damit lässt sich auch bei unvollständiger Messdatenerfassung ein stabiler und ökonomisch optimierter Betrieb sicherstellen.

Mangel an Messpunkten

Das System basiert auf einem Digitalen Zwilling des Stromnetzes, der kontinuierlich mit Messdaten aus dem realen Betrieb aktualisiert wird. Eine der größten Herausforderungen ist die bislang geringe Digitalisierung der Verteilnetze, die häufig nur über begrenzte Messdaten verfügen. Aufgrund des Mangels an flächendeckenden Messpunkten sind präzise Vorhersagemodelle unerlässlich, um diese Lücke zu schließen.

In jedem Berechnungsschritt werden zunächst probabilistische Lastprognosen für nicht gemessene Knoten im Niederspannungsnetz erstellt. Hierfür nutzt das Team ein an der HTWG entwickeltes Modell auf Basis von Bernstein-Polynomial Normalizing Flows, das eine realistische Vorhersage der zukünftigen Nachfragesituation unter Berücksichtigung von Unsicherheiten ermöglicht. Dieser innovative Ansatz erlaubt nicht nur die Generierung einzelner Punktschätzungen, sondern bildet Unsicherheiten und verschiedene mögliche Szenarien als bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilungen ab – ein entscheidender Vorteil angesichts stark schwankender Verbrauchsmuster. Damit können Gebäude oder Anlagen ohne verfügbare Messdaten zuverlässig in das Netzmodell integriert werden.

Prognosemodell für Photovoltaikerzeugung

Parallel dazu entwickelte der Projektpartner ISC Konstanz ein Prognosemodell für die Photovoltaikerzeugung. Damit lässt sich die Einspeisung unter Berücksichtigung der lokalen Bedingungen realistisch abbilden – ein wesentlicher Aspekt angesichts der erheblichen Unterschiede bei Ausrichtung und Verschattung der Anlagen. Die Ergebnisse der Prognosemodelle fließen anschließend in eine klassische Lastflussberechnung des Gesamtnetzes ein. Dadurch können aktuelle Spannungsverhältnisse und Ströme sehr effizient bestimmt werden.

Der so ermittelte Netzzustand wird im Anschluss von einem KI-Regler ausgewertet. Dabei kamen zwei vielversprechende KI-Ansätze zum Einsatz. Zum einen wurden Convolutional Neural Networks (CNNs) verwendet, die auf eine netztopologieunabhängige Visualisierung und Störungserkennung spezialisiert sind und hohe Erkennungsgenauigkeiten von bis zu 99 Prozent erzielten. Zum anderen wurden Graph Neural Networks (GNN) genutzt, die das Netz direkt als Graph abbilden und so flexibel auf Veränderungen in der Netzstruktur reagieren können. Diese GNNs erreichen eine Testgenauigkeit von 94,4 Prozent und sind ein zentraler Bestandteil für die KI-gestützte Betriebsführung.

Auf dieser Grundlage bestimmt der KI-Regler optimale Steuerungshandlungen für die Netzführung, wie etwa Lastverschiebungen oder die Anpassung der Einspeisung flexibler Anlagen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden dem Netzbetreiber als Handlungsempfehlungen übermittelt und in den Digitalen Zwilling zurückgeführt. So entsteht ein geschlossener, lernfähiger Regelkreis, der mit zunehmender Datenmenge und -qualität kontinuierlich genauer wird.

Praxisfähiger Ansatz

Das Zusammenspiel dieser Komponenten – von der Erstellung realistischer Last- und Erzeugungsprofile über die präzise Simulation des Netzzustands bis hin zur Generierung und Evaluierung optimaler Steuerungsmaßnahmen – bildet das Herzstück des AI4Grids-Gesamtsystems. Mit einem Digitalen Zwilling eines Stromnetzes und realen Messdaten konnte das Team im Hardware-in-the-Loop-Labor am Fraunhofer-Institut ISE erste Ergebnisse erzielen, die belegen, dass dieser Ansatz praxisfähig ist und eine optimale Betriebsführung ermöglicht.

Im Netzgebiet des Stadtwerks am See wurden zudem an zehn Transformator- und Kabelverteilerstationen intelligente Messgeräte installiert. Diese verbessern kontinuierlich die Datengrundlage und tragen wesentlich dazu bei, dass der Algorithmus auch in einem dynamisch veränderlichen Netz zuverlässige Prognosen liefert.
Energieversorger profitieren von den Ergebnissen von AI4Grids in vielfacher Hinsicht: Die KI-basierten Verfahren ermöglichen eine deutlich präzisere und dynamischere Netzführung, reduzieren die Notwendigkeit kostenintensiver Netzausbaumaßnahmen und erhöhen gleichzeitig die Versorgungssicherheit. Durch Echtzeitreaktionen auf Netzbelastungen können potenzielle Engpässe frühzeitig erkannt oder gar vermieden werden, wodurch Ausfälle und Störungen minimiert werden. Darüber hinaus unterstützen realitätsnahe Last- und Erzeugungsprognosen die langfristige Netzplanung, fördern den effizienten Einsatz vorhandener Ressourcen und erleichtern die Integration erneuerbarer Energien.

Mit dem Projektende von AI4Grids ist die Arbeit jedoch nicht abgeschlossen: Das Forschungsteam untersucht derzeit effektive Strategien zur Reduktion von Treibhausgasemissionen in der energieintensiven Industrie im Projekt DeepCarbPlanner gefördert von der Carl-Zeiss-Stiftung.

Nachfolger flowgrids

Das Nachfolgeprojekt flowgrids, das im Rahmen des Programms bwinvest-Sprint vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg gefördert wird, verfolgt aktuell das Ziel, die entwickelten Algorithmen in weiteren Reallaboren und im praktischen Feldbetrieb marktreif weiterzuentwickeln. Mit den Algorithmen sollen Stadtwerke und Netzbetreiber künftig dabei unterstützt werden, ihre Netze effizienter, resilienter und klimafreundlicher zu steuern.

Gunnar Schubert ist Professor für Physik und Elektrotrechnik an der HTWG Hochschule Konstanz sowie Vizepräsident für Nachhaltigkeit und Transfer an der HTWG. Er koordinierte das Verbundprojekt AI4Grids. Die Wissenschaftler Manuela Linke und Marcel Arpogaus sind Doktoranden in der AG Regenerative Energiesysteme an der HTWG. Linke war zudem Leiterin des KI-Leuchtturmprojekts AI4Grids.


Der Autor, Gunnar SchubertGunnar Schubert ist Professor für Physik und Elektrotrechnik an der HTWG Hochschule Konstanz sowie Vizepräsident für Nachhaltigkeit und Transfer an der HTWG. Er koordinierte das Verbundprojekt AI4Grids. Die Wissenschaftler Manuela Linke und Marcel Arpogaus sind Doktoranden in der AG Regenerative Energiesysteme an der HTWG. Linke war zudem Leiterin des KI-Leuchtturmprojekts AI4Grids.



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