Donnerstag, 25. September 2025

EnergiepolitikGrüne Flexibilität

[25.09.2025] Die Bundesregierung muss im Energiesektor dringend Prioritäten setzen. Insbesondere sollten flexible Erzeugungskapazitäten konsequent aufgebaut und nutzbar gemacht werden. Dadurch eröffnet sich für Stadtwerke ein wirtschaftliches Zukunftsfeld.

Flexibilitätsoptionen wie Batteriespeicher, Power-to-Heat-Anlagen oder Wasserstoff-Elektrolyseure sind längst verfügbar.

(Bildquelle: Vadym/stock.adobe.com)

Angesichts der Herausforderungen, die es im Zuge des Klimawandels und der Energiewende zu bewältigen gilt, blieb der neuen Bundesregierung nicht viel Zeit zum Sortieren. Die Bilanz der ersten 100 Tage fällt deshalb durchwachsen aus. Zwar wurden zentrale Zwischenschritte angestoßen und erste politische Signale ausgesendet. Der Handlungsdruck bleibt jedoch weiterhin hoch. Vor allem im Energiesektor wird deutlich, dass die neue Bundesregierung dringend Prioritäten setzen muss. Dazu gehört insbesondere das Aufsetzen einer Flex-Agenda, die darüber entscheidet, wie Flexibilität konsequent aufgebaut und nutzbar gemacht werden kann, um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten.

Flexibilität entwickelt sich rasant zum zentralen Baustein eines stabilen, marktfähigen und klimaneutralen Energiesystems. Ohne flexible Kapazitäten lassen sich die wachsenden Schwankungen von Erzeugung und Verbrauch nicht ausgleichen – mit gravierenden Folgen für Versorgungssicherheit, Systemstabilität und wirtschaftliche Effizienz. Dass diese Einschätzung in der Branche breit geteilt wird, zeigt die aktuelle Marktstudie „Zukunftsmarkt grüne Flexibilität“, welche die Stadtwerke-Kooperation Trianel gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Arthur D. Little erstellt hat. 80 Prozent der befragten Unternehmen sehen demnach in Flexibilität ein substanzielles Potenzial, um die Herausforderungen der Energiewende ökonomisch zu bewältigen. Ein Drittel stuft sie sogar als größten Werttreiber ein. Für Stadtwerke und kommunale Versorger eröffnet sich damit ein Zukunftsfeld, das technologische Innovation, wirtschaftliche Chancen und Systemstabilität verbindet.

Marktwirtschaftliche Anreize fehlen

Flexibilitätsoptionen wie Batteriespeicher, Power-to-Heat-Anlagen, Wasserstoff-Elektrolyseure und Demand-Side-Management-Systeme sind längst verfügbar – doch ihr Potenzial wird noch nicht voll ausgeschöpft. Bislang fehlen marktwirtschaftliche Anreize, um sich im noch unsortierten Flexibilitätsmarkt zu positionieren. Flexibilität muss zur politischen Leitkategorie werden und darf nicht zum Nebenaspekt einzelner Regulierungsverfahren verkommen. Nötig ist eine stringente Flex-Agenda, die der Synchronisierung von Erzeugung und Verbrauch im zunehmend volatileren Energiesystem gerecht wird.
Die Diskussion um Flexibilität wird derzeit stark durch den Blick auf Netzdienlichkeit geprägt. Das ist richtig und wichtig, denn Flexibilität kann Netze entlasten und Engpässe vermeiden. Pro­blematisch wird es, wenn regulatorische Ansätze diesen Aspekt isoliert betrachten und andere Systemwirkungen ausblenden. Technologien wie Speicher haben auch dann einen hohen Wert, wenn sie nicht ausschließlich netzdienlich betrieben werden. Sie stabilisieren Märkte, senken Strompreisspitzen und ermöglichen eine schnellere Integration erneuerbarer Energien. Damit leisten sie zugleich einen wesentlichen Beitrag, die Transformation in Richtung Klimaneutralität zu beschleunigen. Entscheidend ist daher, die Gesamtsystemkosten in den Blick zu nehmen und Fehlanreize zu vermeiden.

Ein Beispiel: Speicher werden regulatorisch wie Letztverbraucher behandelt. Im Zuge der Netzentgeltreform stehen Einspeiseentgelte und Baukostenzuschüsse im Mittelpunkt, um den Netzausbau zu finanzieren und Investitionen in netzfreundliche Regionen zu lenken. Dieser Ansatz greift jedoch zu kurz. Er erzeugt keine Einsparung im Gesamtsystem, sondern verschiebt lediglich Kosten. Was bislang fehlt, ist eine klare politische Rollendefinition für Speicher, die das Speichern als eigenständige Funktion in den Vordergrund rückt. Ihre spezifische Rolle muss sich konsequent in der Struktur von Entgelten und Umlagen widerspiegeln. Nur so lassen sich gezielte Investitionsanreize setzen und der volle Systemnutzen von Speichern erschließen.
Stadtwerke stärken

Marktpotenzial entfalten

Damit der Markt für Flexibilitäten sein volles Potenzial entfalten kann, braucht es Akteure, die ihn aktiv gestalten und vorantreiben. Stadtwerke sind prädestiniert, als Flexibilitätsmanager zu agieren. Mit ihrer lokalen Verankerung und ihrem Kundenzugang sind sie unverzichtbare Partner der Kommunen. Zahlreiche Projekte in den Bereichen Smart Grids, E-Mobilität und Speichertechnologien belegen, dass Stadtwerke praxiserprobte Vorreiter der Energiewende sind.

Jetzt müssen sie systematisch gestärkt werden, damit sie die Rolle von Flexibilitätsmanagern vor Ort einnehmen können. Das kann nur mit einer Flex-Agenda erreicht werden, welche die notwendigen Rahmenbedingungen schafft: Ohne passende Ausschreibungsdesigns, faire Entgeltsysteme und gezielte Anreize bleiben viele Vorhaben aber Insellösungen. Skalierbarkeit und Investitionssicherheit sind entscheidende Faktoren für den Erfolg einer kommunalen Flexibilitätsstrategie.

Neben Flexibilitätsstrategien ist ein weiterer Aspekt zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität entscheidend: Der Ausbau erneuerbarer Energien verändert die Erzeugungsstruktur grundlegend, deckt aber nicht alle Dunkelflauten ab. Steuerbare Leistung bleibt unverzichtbar, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dazu braucht es einen verbindlichen Rahmen für neue Kapazitäten wie H2-ready-Gaskraftwerke und andere flexible Technologien. Nur mit verlässlichen Ausschreibungsmodellen und marktbasierten Kapazitätsmechanismen lassen sich alle systemrelevanten Technologien sinnvoll integrieren.
Die Rückführung von Reservekraftwerken in den Markt wäre hingegen ein Sündenfall, da Investitionen verhindert und marktbasierte Signale unterlaufen würden. Eine stabile Versorgung darf nicht auf Notlösungen beruhen, sondern braucht ein tragfähiges Fundament.

Politische Gestaltung

Die Verantwortung, die auf der Bundesregierung lastet, ist hoch, wenn sie die Klimaziele erreichen, ein stabiles Energiesystem etablieren und den Wirtschaftsstandort sichern will. Oberste Priorität im Energiemarkt ist deswegen umso mehr schnelles und pragmatisches Handeln. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Netze, Speicher sowie steuerbarer Leistung muss strategisch zusammengeführt werden. Nur so wird Flexibilität zum Betriebssystem des neuen Energiesystems und nicht zu einem technischen Zusatz ohne strukturelle Wirkung. Flexibilität entscheidet über das Gelingen der Energiewende.
Die Energiewende ist ein Erfolgsprojekt. Wie jedes ambitionierte Vorhaben benötigt aber auch sie Momente der Reflexion, um Erreichtes sichtbar zu machen und nach starkem Wachstum den Kurs klug weiterzuentwickeln. Was die Energiewende jetzt braucht, ist kein Neustart, sondern eine Neujustierung mit Weitblick.

Sven Becker ist Sprecher der Geschäftsführung bei der Trianel GmbH.




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik

BDEW: Wärmepolitik bleibt hinter Bedarf zurück

[25.09.2025] Der BDEW begrüßt die im Bundeshaushalt 2026 vorgesehenen zusätzlichen Mittel für den Ausbau und die Dekarbonisierung der Wärmenetze. Die vorgesehene Summe reiche aber nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. mehr...

bericht

Monitoringbericht: Positives Echo und Kritik

[17.09.2025] Die Reaktionen auf den Monitoringbericht zur Energiewende zeigen: Der eingeschlagene Kurs wird überwiegend bestätigt, doch die Bewertungen der Akteure fallen unterschiedlich aus. Während Verbände die Klimaziele bekräftigen und den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien einfordern, kritisieren andere eine Verlangsamung und fehlende Planungssicherheit. mehr...

bericht

Monitoringbericht: Energiewende am Scheideweg

[16.09.2025] Die Bundesregierung hat den aktuellen Monitoringbericht zur Energiewende vorgelegt. Er zeigt Erfolge beim Ausbau erneuerbarer Energien, macht aber auch erhebliche Probleme sichtbar. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche schlägt deshalb zehn wirtschafts- und wettbewerbsfreundliche Maßnahmen vor. mehr...

KRITIS-Dachgesetz: Kabinett beschließt Entwurf

[11.09.2025] Die Bundesregierung will Deutschland widerstandsfähiger gegen Krisen und Angriffe machen. Jetzt hat das Kabinett den Entwurf für ein neues KRITIS-Dachgesetz beschlossen. mehr...

GAIA: Kritik an geplanter Änderung des Referenzertrags

[11.09.2025] GAIA warnt vor einem Aus der Windenergie in Süddeutschland. Der Projektentwickler sieht durch die geplante Änderung des Referenzertrags tausende Anlagen, Arbeitsplätze und Investitionen bedroht. mehr...

Baden-Württemberg: Pflicht zur Wärmeplanung ausgeweitet

[05.09.2025] Seit dem 6. August gilt in Baden-Württemberg ein novelliertes Klimaschutzgesetz. Laut KEA-BW betrifft die wichtigste Änderung die Pflicht aller Kommunen, eine Wärmeplanung vorzulegen. mehr...

BDEW: Statement zum Monitoring Energiewende

[01.09.2025] Anlässlich des vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragten Monitorings zur Energiewende fordert der BDEW größere Handlungsspielräume für die Digitalisierung. mehr...

NRW: PV-Initiative gestartet

[27.08.2025] Nordrhein-Westfalen will mehr Sonnenstrom von den Dächern seiner Städte holen. Landesregierung und Wohnungswirtschaft haben dazu eine gemeinsame Initiative für Photovoltaik auf Mehrparteienhäusern gestartet. mehr...

Metropolregion Nordwest: Förderaufruf für Projektideen

[26.08.2025] Die Metropolregion Nordwest ruft zur Einreichung neuer Projektideen für die Energietransformation auf. Bis zum 15. Oktober 2025 können Vorhaben beantragt werden, die Innovationen und länderübergreifende Kooperationen in Bremen und Niedersachsen fördern. mehr...

BSW-Solar: Einschätzung zu Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums

[21.08.2025] Der Bundesverband Solarwirtschaft sieht im aktuellen Entwurf zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes Fortschritte, warnt aber vor fortbestehenden Hürden. Besonders die doppelte Stromsteuer-Belastung für Speicher und E-Autos müsse dringend korrigiert werden. mehr...

Sachsen: Zweiter Umsetzungsbericht zur Wasserstoffstrategie

[15.08.2025] Sachsen treibt den Ausbau seiner Wasserstoffwirtschaft voran. Der zweite Umsetzungsbericht zur Wasserstoffstrategie zeigt Fortschritte bei Infrastruktur, Forschung und Kooperationen – und benennt zugleich bestehende Hürden. mehr...

Biogasrat/BDEW: Bilanz nach 100 Tagen

[14.08.2025] Nach 100 Tagen im Amt ziehen der Biogasrat und der BDEW jeweils eine gemischte Bilanz der schwarz-roten Bundesregierung. Während erste Schritte in der Energiepolitik begrüßt werden, mahnen sie mehr Tempo, klare gesetzliche Rahmenbedingungen und entschlossenes Handeln für Klimaschutz und Versorgungssicherheit an. mehr...

BSW-Solar: Kritik an Reiche

[13.08.2025] Der Bundesverband Solarwirtschaft warnt vor Plänen, die Förderung neuer privater Solaranlagen zu streichen. Ohne Unterstützung drohten Rückschläge für die Klimaziele und die Solarbranche. mehr...

Mecklenburg-Vorpommern: Stand bei der Energiewende

[13.08.2025] Mecklenburg-Vorpommern sieht sich als führend bei der Energiewende. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig will die Position mit Windkraft, Wasserstoff und moderner Infrastruktur weiter ausbauen. mehr...