NetzausbauDas AC/DC-Projekt

Projekt ULTRANET: Stromrichter der neuesten Generation sorgen dafür, dass sich Netzfehler nicht zum Blackout ausweiten.
(Bildquelle: Siemens)
Am 31. März 2015 fegte das Sturmtief Niklas über Deutschland. Fast im ganzen Bundesgebiet wurden schwere Sturmböen registriert, an der Nordsee erreichten die Windböen 140 Kilometer pro Stunde (km/h), auf der Zugspitze wurden sogar fast 200 km/h gemessen. Der Orkan verursachte nicht nur Schäden in Höhe von 750 Millionen Euro, er brachte auch das deutsche Stromnetz an die Belastungsgrenzen.
Denn die Zeiten, als die Stromversorgung in Deutschland von rund 450 zentralen Großkraftwerken gesichert wurde, sind vorbei. Heute speisen über 1,5 Millionen dezentrale Energieerzeuger Strom in die Netze ein. Viele dieser Kraftwerke sind Erneuerbare-Energien-Anlagen, deren volatile Erzeugung die Netzbetreiber vor Probleme stellt. Denn auf Sturmtiefs wie Niklas ist das Stromnetz nicht ausgelegt.
Eine Milliarde Euro für Redispatch-Maßnahmen
Wenn der Wind stark weht, speisen Windkraftanlagen insbesondere in Norddeutschland und in Nord- und Ostsee rund 30 Gigawatt (GW) in die Netze ein, das sind 85 Prozent der installierten Leistung. Grundsätzlich sind diese Situationen durch Redispatch-Maßnahmen beherrschbar. Das ist aber teuer. Im vergangenen Jahr mussten die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) an 290 Tagen eingreifen, um Engpässe im Netz zu vermeiden oder zu beseitigen. Die Kosten dafür lagen nach Angaben der ÜNB bei einer Milliarde Euro.
Dieses Geld wird jedoch dringender für den Ausbau der Netze benötigt. Für den Netzausbau müssen die ÜNB in den nächsten Jahren zwischen 27 und 34 Milliarden Euro investieren. Laut dem aktuellen Entwurf des Netzentwicklungsplans 2025 muss das Stromnetz in Deutschland auf bestehenden Trassen mit einer Länge von bis zu 5.800 Kilometern verstärkt werden. Der Ausbaubedarf neuer Leitungstrassen liegt – je nach Szenario – zwischen 3.700 und 4.300 Kilometern, davon sind rund 2.600 oder 3.100 Kilometer Gleichstromverbindungen.
Basis für erste Gleichstrom-Verbindung
Für die erste der drei Übertragungsstrecken in Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnik (HGÜ) haben die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TransnetBW bereits die Basis gelegt. Die beiden Unternehmen beauftragten Ende vergangenen Jahres den Siemens-Konzern mit der Planung und dem Bau der Konverteranlagen für das Projekt ULTRANET. Die 340-Kilometer-Trasse bildet den südlichen Teil einer der geplanten Gleichstromverbindungen, die von Emden nach Süddeutschland führt. Die Konverteranlagen, die Wechselstrom in Gleichstrom und umgekehrt umwandeln, sollen an den Netzverknüpfungspunkten bei Osterath in Nordrhein-Westfalen und bei Philippsburg in Baden-Württemberg gebaut werden.
Für die Genehmigungsverfahren und den Bau der Anlagen rechnen die Übertragungsnetzbetreiber insgesamt mit vier bis fünf Jahren. Werner Götz, Geschäftsführer von TransnetBW, sagte: „Die Auftragsvergabe für Planung und Bau an Siemens ist – weit vor einer genehmigungsrechtlichen Entscheidung – ein deutliches Bekenntnis unserer beiden Unternehmen für die Umsetzung von ULTRANET.“ Amprion-Geschäftsführer Klaus Kleinekorte ergänzte: „Die erste Gleichstromverbindung in Deutschland nimmt Gestalt an. Die Technologiepartnerschaft mit Siemens öffnet uns den Weg, zügig die notwendigen Genehmigungsunterlagen zu erstellen.“
Besonderheiten von ULTRANET
Bei einem Fachpressegespräch Anfang April 2016 in der Stromrichterfabrik von Siemens in Nürnberg stellten die beteiligten Unternehmen das Projekt vor. Denn: Das Gemeinschaftsprojekt ULTRANET weist mehrere Besonderheiten auf. Erstmalig wird eine Gleichstromleitung gemeinsam mit einer bereits existierenden 380.000-Volt-Wechselstromleitung auf einem Mastgestänge geführt. Amprion-Geschäftsführer Klaus Kleinekorte erklärte: „Wir nutzen bestehende Leitungen auf vorhandenen Strommasten, nur die Isolatoren werden gewechselt. Dies ist eine deutliche Vereinfachung gegenüber dem Trassenneubau.“ Die Leistungsfähigkeit der Trasse steige deutlich, ohne dass sich das Erscheinungsbild wesentlich ändere.
Die Konverterstationen an den Netzübergabepunkten nehmen eine Fläche von rund 13 Fußballfeldern ein. Sie haben eine Übertragungsleistung von 2.000 Megawatt (MW) und sind nach Angaben von Bernd Jauch von TransnetBW modular aufgebaut. Die Stromrichter-Stationen bestehen aus einer AC-Schaltanlage, die an das Wechselstromnetz angeschlossen wird, und einer DC-Schaltanlage für das Gleichstromnetz sowie 20-Meter-hohen Konverterhallen. Das Anlagendesign soll zur Minimierung der Geräusche sowie elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder beitragen. Jauch erklärte: „Bei den Emissionen sind wir an die Grenze des Möglichen gegangen.“
Vollbrücken-Stromrichter
Auch Siemens betritt mit dem Projekt Neuland. Jan Mrosik, Chef des Geschäftsbereichs Energy Management bei Siemens, bezeichnete ULTRANET als faszinierendes Projekt, das weltweit einmalig sei. Denn Siemens sei ein Technologie-Sprung bei der Übertragung von Gleichstrom gelungen. In den Konverteranlagen werden von Siemens entwickelte Stromrichter der neuesten Generation eingesetzt. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Netzspannung regulieren und stabilisieren – eine Funktion, die heute vor allem konventionelle Kraftwerke übernehmen. Dank der so genannten Vollbrückentechnik können nach Angaben von Siemens Fehler auf Gleichstromstrecken schnell geklärt werden, ohne dass ein Abschalten der Anlage nötig ist. Gleichzeitig werde das Wechselstromnetz stabilisiert. Der Vorteil der Stromrichter liege zudem in der hohen Verfügbarkeit der Energieübertragung. Mit der Vollbrückentechnik werde das Durchfahren von Leitungsfehlern ermöglicht: Sie gestatte die Fehlerklärung auf einer Gleichstrom-Freileitung bereits im Umrichter und begrenze die Störung und ihre Auswirkungen so auf ein Minimum. Ein weiterer Vorteil sei die so genannte Schwarzstartfähigkeit. Die eingesetzten abschaltbaren Leistungstransistoren können wie ein Generator dabei unterstützen, ein Netzsegment nach einem Stromausfall wieder selbstständig mit Strom zu versorgen. Siemens-Manager Jan Mrosik drückt dies so aus: „Die Vollbrückentechnik klärt Fehler extrem schnell und kann so zuverlässig verhindern, dass sich Netzfehler zum Blackout ausweiten.“
Nachfrage nach Gleichstrom-Verbindungen steigt
Nach den Worten von Mrosik wird die Technik erstmals in Deutschland eingesetzt und soll weltweit vertrieben werden. Denn: Die Nachfrage nach Gleichstrom-Verbindungen steige rasant. In den vergangenen 40 Jahren seien weltweit HGÜ-Verbindungen mit mehr als 100 GW Kapazität installiert worden. Allein in diesem Jahrzehnt kommen nach Einschätzung von Siemens etwa 270 GW hinzu. Der Markt für Gleichstromverbindungen wird sich nach Einschätzung des Konzerns von derzeit drei Milliarden Euro pro Jahr binnen fünf Jahren in etwa verdoppeln.
http://www.transnetbw.de
http://www.siemens.de
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