NetzsteuerungGrenzen Digitaler Zwillinge

Netzleitstand: Eine minutenaktuelle Netzzustandserfassung löst bei Bedarf eine dynamische Ad-hoc-Steuerung aus.
(Bildquelle: Jungmann Systemtechnik)
Mit der Novellierung des §14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) erhalten Anschlussnutzer in der Niederspannung Planungssicherheit, dass der Netzbetreiber neue Wärmepumpen, private Ladeeinrichtungen, Klimageräte und Speicher unverzüglich anschließt. Im Gegenzug darf der Netzbetreiber die netzdienliche Einspeisung dieser Anlagen vorübergehend reduzieren, soweit dies für das jeweilige Netzgebiet sachlich geboten ist. Netzbetreiber benötigen daher eine minutenaktuelle Netzzustandserfassung, die bei Bedarf eine dynamische Ad-hoc-Steuerung in Niederspannungsnetzbereichen auslöst, die über intelligente Messsysteme und Steuerboxen realisiert werden soll. Können Digitale Zwillinge dies leisten?
Was versteht man unter Digitaler Zwilling?
Digitaler Zwilling ist kein feststehender, offizieller Begriff. Netzbetreiber verstehen darunter meist ein digitales Abbild von Netzbereichen im Kontext der Netzplanung. In seiner einfachsten Form ist ein solches Abbild relativ statisch und enthält die Betriebsmittel und deren Kennzahlen für Netzplanungszwecke. Ein detaillierterer und tagesaktueller Digitaler Zwilling enthält zusätzlich alle relevanten Objekte im Kontext einer Steuerbarkeit und ist auch in der Lage, minutenaktuelle Messwerte aufzunehmen.
Um als Stammdatenquelle für eine §14a-EnWG-Lösung dienen zu können, muss ein Digitaler Zwilling die Netzbetriebsmittel, Hausanschlüsse, Messstellen, Einspeisungen und steuerbaren Verbrauchseinrichtungen abbilden. In Geografischen Informationssystemen (GIS) und Netzplanungstools ist eine solche Abbildung der Objekte und ihrer topologischen Beziehungen in der Regel möglich – allerdings nur auf der Ebene der Netzbetriebsmittel bis zum Netzanschluss. Zudem fließen in die GIS in der Regel keine tages- und minutenaktuellen Messwerte ein, sodass sie nur für mittel- und langfristige Planungszwecke nutzbar sind.
Aktuelle Messwerte
Gegebenenfalls werden zusätzlich die den Hausanschlüssen zugeordneten technischen Betriebsmittel typisiert und mit Nettonennleistungen und prognostizierten Gleichzeitigkeitsfaktoren hinterlegt. Ohne die Möglichkeit, aktuelle Messwerte zu erfassen, sind solche einfachen Digitalen Zwillinge nicht ausreichend, um hochdynamische Prozesse wie die Erkennung drohender Netzengpässe und die automatisierte Ableitung geeigneter Steuerungsmaßnahmen im Minutentakt abzuwickeln. Dennoch wird genau diese einfache Ausprägung als eine der Datenquellen für eine netzdienliche Steuerung benötigt.
Klassische Leitsysteme sind auf die Betriebsmittel und automatisierbaren Schalthandlungen der höheren Spannungsebenen ausgerichtet und bilden nicht die in §14a EnWG definierten Niederspannungsnetzbereiche ab. Auch die Tätigkeiten des jeweiligen Leitwartenpersonals unterscheiden sich. Viele Netzbetreiber wünschen sich daher ein separates Niederspannungsleitsystem, das einen Digitalen Zwilling der Niederspannungsnetzbereiche enthält und deren Steuerung ermöglicht.
Integrierter Datenpool
§14a EnWG schreibt vor, dass zur Beurteilung eines Netzengpasses aktuelle Netzzustandsmessdaten von 7 bis 15 Prozent der Anschlüsse heranzuziehen sind. Ein Niederspannungscockpit verknüpft diese mit Daten aus GIS- und Verbrauchsabrechnungssystemen sowie mit mindestens minütlich eingehenden Messungen an Trafoabgängen und Verteilerschränken, um die aktuelle Belastungssituation dynamisch zu überwachen. Aus diesem integrierten Datenpool wird automatisiert die Online-Netzzustandsbewertung generiert, die für die Ableitung von Maßnahmen und Steuerungsschritten nach §14a EnWG erforderlich ist. Darüber hinaus übernimmt das Niederspannungscockpit auch die Alarmierung der Leitwarte.
Zur Vervollständigung des §14a-Prozesses müssen die klassischen Leitsystemfunktionen um Flexibilitätsmanagementfunktionen ergänzt werden, um Lösungen zur diskriminierungsfreien Abregelung der an einem Leitungsstrang angeschlossenen Verbraucher generieren zu können. Diese müssen von grundzuständigen und wettbewerblichen Messstellenbetreibern konsequent umgesetzt werden.
Mit einer Kombination aus detailliertem Digitalen Zwilling und Niederspannungsleitsystem hat ein Netzbetreiber bereits einen wichtigen Teil des §14a-Prozesses umgesetzt, da er das Niederspannungsnetz überwachen kann und immer minutenaktuell weiß, was wo passiert. Der letzte noch fehlende Baustein für Netzbetreiber ist die Maßnahmenberechnung und -dimensionierung, die über ein massendatenfähiges VNB-Flexibilitätsmanagement, wie beispielsweise den KISTERS FlexManager, abgewickelt werden kann.
Die Dimensionierung der Maßnahmen muss sich unter anderem auf den Digitalen Zwilling sowie die aktuellen Messdaten aus dem Cockpit stützen und die Lastgangdefinitionen sowie die verfügbaren Ad-hoc-Steuerkanäle über CLS (Controllable Local System) berücksichtigen. Die netzorientierte Steuerung der Verbraucher hinter dem Transformator erfolgt über die neue schnelle Marktkommunikation, also über die Messstellenbetreiber.
Hochautomatisierter Prozess
Hierzu ist nicht nur der flächendeckende Roll-out von Smart Meter Gateways durch die Messstellenbetreiber erforderlich, sondern insbesondere auch der Aufbau eines CLS-Managementsystems mit entsprechenden Steuerpfaden. Die Abregelung von Erzeugern nach §9 EEG kann über die gleichen CLS-Kanäle erfolgen, sofern die Netzzustände und Alarmstufen nach der erforderlichen Wirkrichtung differenziert werden können. Dieser hochautomatisierte Gesamtprozess geht weit über das hinaus, was üblicherweise unter einem Digitalen Zwilling im Kontext der Netzplanung verstanden wird.
Komponenten aus einer Hand
Digitale Zwillinge im Sinne eines detaillierten Abbilds eines Netzes sind die notwendige Basis für eine automatisierte Überwachung und Steuerung durch ein IT-System. Die IT-seitige Aufgabe besteht darin, den statischen Zwilling um aktuelle Messwerte zu ergänzen und Funktionalitäten zur Zustandsbewertung, Maßnahmenermittlung und Übermittlung von Schaltbefehlen einzubringen. Wenn Netzbetreiber all diese Komponenten aus einer Hand beziehen, reduzieren sie den Aufwand für die Integration verschiedener Lösungen, die Schnittstellenprogrammierung oder die Kommunikation und vermeiden Probleme durch Inkompatibilität von Lösungen.
Mit der Gesamtlösung können Netzbetreiber den netzwirksamen Leistungsbezug von Verbrauchern steuern (§14a EnWG) und auch die Einspeisung aus EEG- und KWK-Anlagen begrenzen (§9 EEG), um gezielt Überlastungen von Netzbereichen zu vermeiden.
Beim Aufbau einer solchen Lösung müssen Energieversorgungsunternehmen nicht nur die Komplexität beherrschen, sondern auch Grundsatzentscheidungen zur IT-Sicherheit treffen. Für EVU, die nicht über ein eigenes zertifiziertes Rechenzentrum mit den für die Prüfung notwendigen, relativ teuren Hardware-Sicherheitsmodulen (HSM) verfügen, empfiehlt sich die Nutzung eines Software-as-a-Service-Betriebs bei einem Cloudanbieter mit zertifiziertem Rechenzentrum. Hier können Netzbetreiber die Anforderungen zeitnah und mit geringer Einstiegshürde umsetzen und die Lösung parallel zum Smart Meter Roll-out sukzessive ausbauen.
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