EsslingenLeuchtturm eines klimaneutralen Quartiers

So soll das klimaneutrale Quartier Neue Weststadt in Esslingen im Endausbau aussehen.
(Bildquelle: Peter Heim)
Auf einem alten Güterbahnhof in Esslingen am Neckar entsteht derzeit ein klimaneutrales Quartier, das in vielerlei Hinsicht die Bezeichnung Leuchtturmprojekt verdient. Nicht nur mit seiner Größe von 120.000 Quadratmetern spielt es eine herausragende Rolle über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus. Kennzeichnend ist zudem das zukunftsorientierte ganzheitliche Energiekonzept mit vernetzten Energieerzeugungsanlagen und einem Forschungsprojekt zur Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff. Auch der Bund sieht in dem Quartiersprojekt Neue Weststadt Esslingen ein herausragendes Beispiel für künftiges Leben und Arbeiten und fördert es im Rahmen des Schwerpunkts „Solares Bauen / Energieeffiziente Stadt“ mit rund 12 Millionen Euro.
Landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb
Ausgeschrieben hat das Projekt die Stadt Esslingen, die das ehemalige Güterbahnhofsareal von der Deutschen Bahn erworben hatte, um es für die städtebauliche Entwicklung zu nutzen. Das Quartier Neue Weststadt gehört zu den größten baukulturellen Projekten der Kommune und soll einen Beitrag zur zukunftsfähigen Stadtentwicklung in der Region Stuttgart leisten. Das Ausschreibungsverfahren wurde als nichtoffener, zweiphasiger, städtebaulicher und landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb umgesetzt. Gewonnen haben ihn das Architekturbüro „LEHENdrei | Architektur Stadtplanung“ sowie die Landschaftsarchitekten „frei raum concept“. Für die Realisierung des Stadtquartiers Lok.West hat das Immobilienunternehmen RVI aus Saarbrücken den Zuschlag erhalten. Auf einem 26.500 Quadratmeter großen Gelände realisiert es als Bauträger und Investor fünf Wohn- und Geschäftsblöcke im KfW-55-Effizienzstandard. Sie umfassen rund 500 Wohnungen sowie private und öffentliche Grünflächen und Höfe.
Ganzheitliches Energiekonzept
Eine zentrale Auflage bei der Vergabe der Grundstücke war die Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers sowie die Aufteilung in Wohn- und Gewerbeflächen in einem Verhältnis von 80 zu 20 Prozent. Hintergrund ist, dass sich die Stadt verpflichtet hat, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu senken. Entwickelt wurde das ganzheitliche Energiekonzept von der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft EGS-plan, welche auch die Gebäudetechnik und die dezentralen Energieversorgungsanlagen inklusive der Wasserstofferzeugung plant. Die Konzeption und Umsetzung der Mieterstromversorgung verantwortet der Ökoenergieversorger Polarstern. Für Finanzierung, Installation und Betrieb der Energieerzeugungsanlagen wurde 2019 die Betreibergesellschaft Green Hydrogen Esslingen GmbH gegründet. Teilhaber sind die Stadtwerke Esslingen, die Polarstern Erzeugungs GmbH sowie M. Norbert Fisch, CEO von EGS-plan und Leiter des Steinbeis-Innovationszentrums Energie-, Gebäude- und Solartechnik (SIZ-EGS), welches das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Klimaneutrale Weststadt Esslingen“ wissenschaftlich koordiniert.
Mieterstrom durch Photovoltaik und BHKWs
Seit dem ersten Spatenstich im Jahr 2016 wurden zwei Wohnblöcke mit zusammen 260 Wohnungen und Gewerbeeinheiten errichtet. Ein weiterer Block mit 167 Wohnungen, neun Gewerbeeinheiten und einer Kita befindet sich im Bau. Seine Fertigstellung ist für 2023 geplant. Zwei weitere Wohnblöcke in westlicher sowie östlicher Randlage sollen bis 2025 errichtet werden.
Die Mieterstromversorgung erfolgt durch Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerke (BHKWs) in den jeweiligen Gebäuden. Der Solarstrom, der nicht direkt im Gebäude genutzt werden kann, speist einen Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff erzeugt. In drei der fünf Gebäude sowie in einem Neubau der Hochschule Esslingen wird die Abwärme des Elektrolyseurs zur Warmwasserbereitung und Deckung der Heizwärme genutzt. Als Back-up für die Wärmeversorgung erhält jedes Gebäude einen Spitzenlastkessel sowie ein Blockheizkraftwerk. Betrieben werden diese mit 100 Prozent Ökogas. An Ladestationen in den Tiefgaragen sowie an Parkplätzen im öffentlichen Raum werden Elektroautos ebenfalls mit dem lokal erzeugten Strom versorgt. Alle Gebäude werden für eine effiziente Energieversorgung über ein Smart Grid verbunden und an das Strom- und Gasnetz angeschlossen.
Herzstück Elektrolyseur
Im ersten errichteten Gebäude Béla werden beispielsweise mit einer 260-Kilowatt-Peak-Photovoltaik-Dachanlage und einem BHKW mit 70 kW elektrischer Leistung bis zu 70 Prozent des Strombedarfs gedeckt. Das bietet den Bewohnern nach aktuellem Planungsstand Stromkosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent verglichen mit dem örtlichen Grundversorgertarif. Unterstützt wird der hohe solare Deckungsanteil durch einen intelligenten Maßnahmen-Mix mit smarten Lösungen, die ein energiebewusstes Verhalten der Mieter fördern.
Das Besondere des Energiekonzepts im Quartier ist ein Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung. Er hat eine Leistung von einem MWel. Gespeist wird er aus dem überschüssig erzeugten Solarstrom der Photovoltaikanlagen sowie dem überschüssigen Netzstrom aus erneuerbaren Energien. Der erzeugte grüne Wasserstoff wird auf vier Vertriebswegen vermarktet: Es erfolgt die Einspeisung ins lokale Mitteldruckgasnetz, die Abfüllung in Trailer und der Transport zur Industrie und zu H2-Tankstellen sowie die lokale Rückverstromung in einem BHKW. Damit dient der Elektrolyseur entsprechend des Ansatzes Power-to-Gas-to-Power partiell auch als Kurzzeitstromspeicher. Nach aktuellen Berechnungen werden täglich 400 Kilogramm Wasserstoff produziert. Ende 2020 soll der Elektrolyseur in Betrieb genommen werden. Die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme wird in das Nahwärmenetz des Quartiers geleitet. Durch die Wärmenutzung wird der Gesamtwirkungsgrad des Elektrolyseurs von 55 auf rund 90 Prozent gesteigert.
Ladestationen netzdienlich betreiben
Die Energieanlagen des Quartiers unterstützen ferner eine klimafreundliche städtische Mobilität, indem zum einen der im Elektrolyseur erzeugte Wasserstoff in eine Abfüllstation geleitet wird und so Tankstellen und lokalen Unternehmen zur Verfügung steht. Zum anderen sind Ladestationen für private Elektroautos sowie ein quartierinternes Carsharing geplant. Auch sollen die Ladestationen künftig nicht nur mit dem erzeugten Solarstrom versorgt, sondern auch netzdienlich betrieben werden. Zudem nutzen Oberleitungsbusse der städtischen Verkehrsbetriebe, die das neue Quartier anfahren sollen, den ins Netz eingespeisten überschüssigen Solarstrom.
Mit einer sektorenübergreifenden Energieversorgung wie im Esslinger Quartier ist eine klimaneutrale Energieversorgung einfacher und effizienter zu erreichen als mit reinen Stromversorgungskonzepten. Darüber hinaus können den Bewohnern so zusätzlich attraktive Services wie Carsharing, Ladestationen und vernetzte smarte Dienstleistungen angeboten werden.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März/April 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
Hamburger Energienetze: Weitere Aufträge für Energieeinsparungen
[29.07.2025] Dank digitaler Heizungsoptimierung konnten städtische Gebäude in Hamburg ihren Energieverbrauch deutlich senken. Nach erfolgreichen Pilotprojekten beauftragen Sprinkenhof und der Bezirk Bergedorf die Hamburger Energienetze mit weiteren Maßnahmen. mehr...
Stadtwerke Bochum: Neue App fürs Energiemanagement
[28.07.2025] Die Stadtwerke Bochum bringen mit dem EnergieHub eine neue App für intelligentes Energiemanagement in Haushalten auf den Markt. In Kooperation mit Vattenfall können Kunden künftig Stromflüsse im Haus aktiv steuern und ihren Verbrauch an dynamische Stromtarife anpassen. mehr...
Schwalm-Eder-Kreis: KI senkt Energieverbrauch
[24.07.2025] Fünf Kommunen im Schwalm-Eder-Kreis setzen auf Künstliche Intelligenz, um den Energieverbrauch ihrer öffentlichen Gebäude deutlich zu senken. Das Land Hessen fördert das Projekt mit über einer Million Euro aus dem Programm „Starke Heimat Hessen“. mehr...
Kreis Ebersberg: Pilotkommune für digitales Energiemanagementsystem
[22.07.2025] Mit Unterstützung des Bayerischen Digitalministeriums startet der Landkreis Ebersberg die landesweite Transferphase seines digitalen Energiemanagementsystems. Die Plattform soll nun bayernweit Kommunen helfen, Energie zu sparen, Kosten zu senken und CO₂-Emissionen zu reduzieren. mehr...
NRW.Energy4Climate: Drei Projekte erhalten Auszeichnung
[15.07.2025] Nordrhein‑Westfalen hat drei weitere Projekte als KlimaQuartier.NRW ausgezeichnet. Die neuen Vorzeigequartiere in Düsseldorf und Leopoldshöhe belegen, wie serielles Sanieren, die Umnutzung leerstehender Bürobauten und konsequenter Holzbau den Weg zur klimaneutralen Wärmeversorgung ebnen. mehr...
Ennepe-Ruhr-Kreis: Planungsprojekte für klimafreundliche Energiezukunft
[10.07.2025] Mit der kommunalen Wärmeplanung und dem Projekt EMG.Ruhr verfolgt der Ennepe-Ruhr-Kreis zwei parallel laufende Ansätze für eine klimafreundliche Energiezukunft. Während die Wärmeplanung den Blick auf Wohnquartiere richtet, analysiert EMG.Ruhr systematisch die Energieversorgung von Gewerbegebieten. mehr...
KEA-BW: Energiespiegel zu öffentlichen Gebäuden veröffentlicht
[27.06.2025] Eine neue Auswertung der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg zeigt, wie effizient öffentliche Gebäude im Land mit Energie umgehen. Grundlage der Untersuchung sind gesetzlich erhobene Verbrauchsdaten aus 538 Kommunen mit rund 14.500 Liegenschaften. mehr...
Baden-Württemberg: Energie bei landeseigenen Gebäuden eingespart
[24.06.2025] Mit über 500 Einzelmaßnahmen hat das Land Baden-Württemberg im vergangenen Jahr gezielt in den Klimaschutz seiner Liegenschaften investiert. Der Energieverbrauch wurde deutlich gesenkt, die Nutzung erneuerbarer Energien ausgebaut – bei Kosten von mehr als 90 Millionen Euro. mehr...
Kreis Ebersberg: Energiemanagementsystem eingeführt
[03.06.2025] Der Landkreis Ebersberg hat ein digitales Energiemanagementsystem für seine Liegenschaften eingeführt. Die Lösung zeigt erste Erfolge beim Verbrauchsmonitoring und stößt auch bei anderen Kommunen auf Interesse. mehr...
Unstrut-Hainich-Kreis: Klimaschutz mit Contracting
[28.05.2025] Der Unstrut-Hainich-Kreis beteiligt sich an einem bundesweiten Modellprojekt zum Energiespar-Contracting. Das Ziel besteht darin, die Kosten zu senken und den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. ENGIE Deutschland ist für die Planung und Umsetzung verantwortlich. mehr...
Leitstern Energieeffizienz: Stuttgart und Karlsruhe ausgezeichnet
[27.05.2025] Stuttgart erhält den Sonderpreis für besondere Effizienzmaßnahmen, Karlsruhe wird als bester Stadtkreis ausgezeichnet: Beim Landeswettbewerb Leitstern Energieeffizienz Baden-Württemberg überzeugten gleich zwei Großstädte mit Sanierungs- und Klimaschutzmaßnahmen. mehr...
Hanau: Neue LED-Leuchten im Schlossgarten
[15.05.2025] Im Hanauer Schlossgarten sorgen ab sofort smarte LED-Leuchten für mehr Sicherheit und deutlich weniger Energieverbrauch. mehr...
berta & rudi: Software erhält Auszeichnung
[12.05.2025] Die Software berta & rudi ist als KI-Champion Baden-Württemberg 2025 ausgezeichnet worden. Die Anwendung zur Planung nachhaltiger Energiesysteme überzeugte mit ihrer intelligenten Kombination aus Bedarfsprognose und Anlagenauslegung. mehr...
Kreis Soest: Energiemonitor online
[24.04.2025] Der neue Energiemonitor des Kreises Soest zeigt erstmals detailliert die Stromflüsse aus erneuerbaren Quellen in allen 14 Kommunen. Das Dashboard ermöglicht eine genaue Analyse von Erzeugung, Verbrauch und Autarkiegrad in Echtzeit. mehr...
Havelberg: Energie-Kommune durch Bürgerbeteiligung
[17.04.2025] Havelberg ist Energie-Kommune des Monats April dank Beteiligung, Windkraft und nachhaltiger Wärmeversorgung. mehr...