EU-StrommarktrichtlinieStadtwerke im Fokus der EU

Verteilnetzbetreiber sollen in einer dezentralen Welt mehr Möglichkeiten im Umgang mit Flexibilitäten enthalten. Das sieht die neue EU-Strommarktrichtlinie vor.
(Bildquelle: RioPatuca Images/Fotolia.com/PEAK Agentur für Kommunikation)
Ende vergangenen Jahres hat die Europäische Kommission den Entwurf des Legislativpakets Clean Energy for all vorgelegt. Dieses so genannte EU-Winterpaket umfasst unter anderem Verordnungs- und Richtlinienentwürfe zu einem neuen Strommarktdesign, zu Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und für den Verkehrsbereich. Auf über 3.500 Seiten werden damit die zentralen Rechtsakte des Dritten Elektrizitätsbinnenmarktpakets aus dem Jahr 2009 überarbeitet und neu aufgesetzt.
Leitbild des gesamten Verordnungspakets ist ein Strommarkt, der geprägt ist von volatiler und dezentraler Stromproduktion, aktiven Prosumern, Energiespeichern und Flexibilisierung. In einer solchen dezentralen Welt kommt den Stadtwerken eine noch viel stärkere Bedeutung zu als bisher: Über 90 Prozent der volatilen erneuerbaren Energien sind auf der Ebene der Verteilnetze – und damit ganz überwiegend an die Netze der Stadtwerke – angeschlossen.
Anreize für Netzbetreiber
Insofern ist es konsequent, dass die EU-Kommission die Rolle und Verantwortung der Stadtwerke stärker in den Fokus rückt. Im Entwurf der Strommarktrichtlinie erkennt die Kommission zunächst an, dass es insbesondere die Verteilnetzbetreiber sind, die neue Formen der Stromerzeugung, Erneuerbare-Energien-Anlagen sowie neue Lasten wie Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge integrieren. Damit sie dieser Aufgabe weiterhin kosteneffizient nachkommen können, sollen Verteilnetzbetreiber mehr Möglichkeiten und Anreize erhalten, die Flexibilität im Netz durch den Einsatz von Last-Management und Speichern zu erhöhen. Dies bedeutet zugleich mehr Verantwortung für die Systemstabilität. Eine weitere wichtige Neuregelung ist die stärkere Einbindung in das Daten-Management. Vor allem dieser Punkt könnte künftig vor dem Hintergrund des Roll-outs intelligenter Messsysteme in Deutschland interessant werden.
Daneben sieht die Richtlinie vor, dass Verteilnetzbetreiber der Regulierungsbehörde künftig alle zwei Jahre einen Netzentwicklungsplan vorlegen müssen, aus dem die geplanten Investitionen (mit einem Schwerpunkt auf neue Erzeugungsanlagen und Elektromobilität) für die nächsten fünf Jahre hervorgehen. Der Netzentwicklungsplan soll zudem Angaben zur Nutzung von Last-Management, Energieeffizienz, Speichern und anderen Anlagen, die als Alternative zum Netzausbau genutzt werden, enthalten. Er ist von der Regulierungsbehörde öffentlich zu konsultieren und anschließend zu veröffentlichen.
Für integrierte Unternehmen mit weniger als 100.000 angeschlossenen Kunden können die Mitgliedstaaten hiervon Ausnahmen zulassen. So ist zwar zu erwarten, dass der nationale Gesetzgeber zugunsten der Stadtwerke seinen Umsetzungsspielraum nutzen und von dieser De-minimis-Regelung Gebrauch machen wird. Der erste Schritt in Richtung Netzausbauplanung für Verteilnetze wurde jedoch mit der jüngsten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Jahr 2016 bereits vollzogen.
E-Mobilität und Energiespeicher
Eine weitere, bislang noch wenig beachtete Neuerung – und zugleich eine große Chance – könnte auf die Stadtwerke beim Thema Elektromobilität zukommen. So sieht die EU-Strommarktrichtlinie vor, dass Ladepunkte für Elektromobilität an das Verteilnetz angeschlossen werden und Verteilnetzbetreiber und Anbieter von Ladepunkten kooperieren. Sofern sich im Zuge von Ausschreibungen kein Unternehmen für den Betrieb eines Ladepunktes bewirbt und die Regulierungsbehörde diesen trotzdem genehmigt, dürfen die Verteilnetzbetreiber sogar selbst Ladepunkte besitzen und betreiben.
Ein weiteres Novum ist, dass sich die Kommission explizit zum Betrieb von Energiespeichern durch Netzbetreiber äußert. Dabei stellt die EU-Kommission klar, dass Speicher zwar grundsätzlich unter die Entflechtungsbestimmungen fallen. Gleichwohl sollen Verteilnetzbetreiber unter denselben Voraussetzungen, die für Ladepunkte gelten, auch Speicher betreiben dürfen, sofern diese für die Systemsicherheit notwendig sind. Dies überrascht – wurde doch der Betrieb von Speicheranlagen aus Entflechtungsgründen bisher streng vom Netzbetrieb getrennt. In diesem Zusammenhang ist ein Arbeitspapier der Kommission zum Thema Speicher vom Februar 2017 interessant. Dort empfiehlt die Kommission unter anderem, eine eigene Definition von Energiespeichern einzuführen und diese nicht wie Erzeuger oder Letztverbraucher zu behandeln. Zugleich sollen Speicher verstärkt im Rahmen der Netzausbauplanung und für Systemdienstleistungen berücksichtigt werden.
Mehr Mitspracherechte
Durch eine zentrale Neuregelung in der vorgeschlagenen Strommarktverordnung sollen Verteilnetzbetreiber künftig erheblich mehr Mitspracherecht erhalten. Es soll ein neuer Verbund der Verteilnetzbetreiber geschaffen werden (EU DSO entity), der die Abstimmung wichtiger Themen zwischen Übertragungsnetz und Verteilnetz erleichtern soll. Damit werden die Verteilnetzbetreiber – so wie bisher schon die Übertragungsnetzbetreiber – künftig bei wesentlichen Fragen ganz entscheidend mit eingebunden.
Zugleich trägt die EU-Kommission ihrem bereits seit vielen Jahren geäußerten Wunsch Rechnung, einen einheitlichen Ansprechpartner auf Verteilnetzebene zu schaffen. Nach der derzeitigen Fassung der Strommarktverordnung soll der neue Verbund dabei jedoch nur solche Verteilnetzbetreiber aufnehmen, die nicht Teil eines vertikal integrierten Unternehmens sind beziehungsweise als vertikal integriertes Unternehmen die Entflechtungsvorgaben der EU für Verteilnetzbetreiber erfüllen. Von diesen Vorgaben ausgenommen sind Netzbetreiber mit weniger als 100.000 angeschlossenen Kunden. Aufgrund dieser Kriterien kommen nur etwa zehn Prozent der insgesamt rund 2.800 Verteilnetzbetreiber in der EU als Mitglied infrage; davon zu etwa 90 Prozent große Verteilnetzbetreiber.
Die Kommission hat jedoch bereits signalisiert, dass eine solch deutliche Überrepräsentation großer Verteilnetzbetreiber nicht in ihrem Sinne sei und sie an dieser Stelle offen für Lösungen ist, um die Repräsentanz der Stadtwerke zu erhöhen. Insofern sollten die Stadtwerke nun mit Vorschlägen auf die Kommission zugehen, um bei der Mitwirkung und Erarbeitung wesentlicher Leitlinien und Entscheidungen künftig nicht außen vor zu bleiben.
Variable Netzentgelte
Sehr weitreichende Vorgaben trifft die Verordnung darüber hinaus zum Thema Netzentgelte. So sollen die Netzentgelte auf Verteilnetzebene zwischen Verbrauchs- oder Erzeugungsprofilen differenziert werden. In den Mitgliedstaaten, in denen bereits Smart Meter zur Anwendung kommen, sollen zeitvariable Netzentgelte eingeführt werden. Im Zentrum der Regulierung sollen laut Kommission künftig verstärkt Anreize für innovative Lösungen stehen. Darüber hinaus wird die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) künftig eine Schlüsselrolle in der Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik einnehmen. Nach dem Verordnungsentwurf legt die ACER drei Monate nach Inkrafttreten der Verordnung Empfehlungen zu Eckpunkten zur Netzentgeltsystematik vor. Die Europäische Kommission hat bereits klargestellt, dass – entgegen der aktuellen Formulierung – eine Harmonisierung der Netzentgelte nicht angestrebt werde und es sich insofern um eine fehlleitende Formulierung handelt. Ob die Mitgliedstaaten einen solchen tiefen Eingriff in ihre nationalen Regulierungssysteme gleichwohl zulassen, darf jedoch bezweifelt werden. Die erst kürzlich vom Deutschen Bundestag erhobene Subsidiaritätsrüge lässt jedenfalls noch spannende Verhandlungen erwarten.
Das Legislativpaket wird nun im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beraten. Angestrebt wird ein Abschluss des Verfahrens vor den Neuwahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019. Die Strommarktrichtlinie muss anschließend von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die unmittelbar wirksame Strommarktverordnung soll Anfang 2020 in Kraft treten.
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