InterviewBrücke zur Dekarbonisierung

Klaus Schirmer
(Bildquelle: CYTOK GmbH)
Herr Schirmer, die Diskussion über die künftige Energieversorgung Deutschlands ist derzeit von großen Unsicherheiten geprägt. Wie bewerten Sie die aktuelle Strategie der Bundesregierung, neue Gaskraftwerke zu bauen, um Versorgungslücken bei Wind- und Sonnenflauten zu schließen?
Komplexe Systeme wie die bundesweite Energieversorgung in allen Sektoren können nicht von heute auf morgen komplett umgestellt werden. Neue, saubere Technologien und Verfahren müssen nach und nach diejenigen ersetzen, die durch ihre schädlichen Wirkungen auf die Umwelt nicht mehr akzeptabel sind. Aktuell befinden wir uns in einer Zeit des Umbruchs bei der Energieversorgung mit vielen Facetten. Insbesondere in Deutschland, wo auf der einen Seite die Atomkraft abgeschaltet wurde, die Kohlekraftwerke sukzessive folgen und auf der anderen Seite die erneuerbaren Energien noch nicht grundlastfähig sind und der Hochlauf einer flächendeckenden sauberen Wasserstoffwirtschaft noch Jahre bis Jahrzehnte benötigt. Gaskraftwerke werden daher mit ihrer ständigen Verfügbarkeit und Flexibilität noch eine ganze Weile zur Absicherung der Grundlasten im Stromnetz gebraucht. Das darf aber kein Argument sein, das Ziel der klimaneutralen Energieversorgung bis 2045 zu verwässern und einer vermeintlich billigeren und stabilen Energieversorgung zu opfern, indem man Gaskraftwerke mehr als nötig einsetzt. Wo es möglich ist, müssen die erneuerbaren Energien Vorrang haben, deren Ausbau zusammen mit Speichermöglichkeiten weiter vorangetrieben werden und so auch die Gaskraftwerke nach und nach ersetzen. Der Zubau sollte daher auf das nötige Maß beschränkt werden und keine neuen Abhängigkeiten von fossilem Erdgas erzeugen.
Ihr Unternehmen bringt ein Verfahren ins Spiel, das überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen in synthetisches Methan umwandelt. Können Sie erläutern, wie diese Technologie funktioniert?
Die synthetische Herstellung von Methan ist nicht neu und es gibt verschiedene Verfahren. Unser Unternehmen nutzt beispielsweise die katalytische Methanisierung nach dem sogenannten Sabatier-Prozess. Dabei reagieren Wasserstoff (H2) zusammen mit Kohlenstoffdioxid (CO2) zu Methan (CH4) und Wasser (H2O).
In welchen technischen Schritten entsteht aus grünem Strom am Ende ein einspeisefähiges synthetisches Methan und welche Voraussetzungen sind dafür nötig?
Den grünen Strom benötigt man im ersten Schritt, um mit einem Elektrolyseur grünen Wasserstoff zu erzeugen. Der Wasserstoff wird dann zusammen mit dem Kohlenstoffdioxid über einen Katalysator geleitet und verbindet sich dabei zu synthetischem Methan. In unseren sogenannten Reaktoren geschieht das bei einem geringen Druck von etwa zehn bar und einer exothermen Reaktion mit einer Temperatur von circa 280 Grad Celsius. Das heißt, es entsteht Wärme, die sehr gut ausgekoppelt und genutzt werden kann. Methan ist auch der Hauptbestandteil (90 Prozent +/-) und Energieträger im fossilen Erdgas. Chemisch ist das synthetische Methan identisch mit dem Methan im Erdgas. Dementsprechend kann es also auch in der Erdgasinfrastruktur und mit Erdgastechnologie verwendet werden. Die Reinheit zur Einspeisung ins Erdgasnetz zu erreichen, ist kein Problem.
Ein entscheidender Punkt ist die Wirtschaftlichkeit. Mit welchen Kosten ist bei der Produktion von synthetischem Methan aktuell zu rechnen – sowohl im Vergleich zu fossilem Erdgas als auch zu Wasserstoff?
Es lässt sich ausgiebig darüber diskutieren, wie man Wirtschaftlichkeit überhaupt definiert und wie man diese berechnet. Ich könnte alles mit dem Argument erschlagen, nichts gegen den Klimawandel zu tun, würde am Ende für uns alle viel teurer. Damit kann ich aber keinen Unternehmer zur Investition überzeugen und keine innovative und umweltfreundliche Technologie in den Markt bringen. Genauso inakzeptabel ist es aber auch, Wirtschaftlichkeit ausschließlich im Vergleich mit den aktuellen Preisen für fossiles Erdgas oder Erdöl zu errechnen. Zum einen darf man natürlich die wirtschaftlichen Folgen von weiter steigenden CO2-Emissionen und die dadurch verursachten Auswirkungen nicht ignorieren, zum anderen beeinflussen viele weitere Parameter die Wirtschaftlichkeit in den kommenden Jahren. Die Preisentwicklungen bei den fossilen Energieträgern sind auch nicht stabil und haben in den vergangenen Jahren zeitweise für Entsetzen gesorgt, abgesehen von den Abhängigkeiten, die einem erst durch den Ukraine-Krieg bewusst wurden. Aber auch steigende CO2-Preise, rechtliche Vorschriften zur Emissionsreduzierung und Dekarbonisierung und sinkende Erzeugungspreise für grünen Strom spielen eine Rolle. Kurz gesagt, weder grüner Wasserstoff noch grünes Methan können aktuell zu den Preisen von fossilem Erdgas oder daraus erzeugtem Wasserstoff hergestellt werden und es muss massiv in die neuen Technologien investiert werden. Es ist aber klimapolitisch alternativlos und auf lange Sicht auch gegenüber den fossilen Energien rentabel, auf die fast unendlichen, sauberen Ressourcen Wind und Sonne zu setzen. Im Vergleich zum Wasserstoff sehen wir in der Methanisierung den Vorteil, dass damit die bestehende Infrastruktur und die bewährte, langlebige und günstige Erdgastechnologie sofort genutzt werden kann. Man muss nicht auf ein Wasserstoff-Verteilnetz warten und vermeidet die aufwendige und teure Speicherung von Wasserstoff. Auch das Gefahrenpotenzial und damit die Zulassungshürden sind wesentlich geringer.
Die Technologie gilt als speicherfähig, kompatibel mit bestehender Infrastruktur und CO₂-neutral. Können Sie an einem praktischen Beispiel erklären, wie sie zur Dekarbonisierung eines bestehenden Gaskraftwerks beitragen kann?
H2-ready- oder Wasserstoffkraftwerke tragen erst dann zur Dekarbonisierung bei, wenn tatsächlich reiner Wasserstoff durch die Pipelines fließt und verbrannt wird. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Aber wir müssen sofort mit der Reduzierung der CO2-Emissionen beginnen, um die Folgen des Klimawandels einzudämmen. Anstatt auf die 100-Prozent-Lösung zu warten, sollten wir sofort alles tun, was möglich ist. Wir wissen, dass man Wasserstoff und Methan klimaneutral herstellen kann, und wir wissen, dass wir eine steigende Menge an Überschusszeiten von Strom aus den volatilen erneuerbaren Energien haben. Und wir brauchen Gaskraftwerke als Redundanz. Da liegt die technische Lösung doch auf der Hand. Man erzeugt mit Überschussstrom und CO2 Methan und speist es genau wie Biogas ins vorhandene Erdgasnetz ein. Die Speicherkapazität des Erdgasnetzes ist enorm groß und die vorhandene Infrastruktur kann vorerst weiter genutzt werden, wird aber dennoch sukzessive dekarbonisiert. Bei Strommangel erzeugen die Gaskraftwerke diesen dann wie bisher und nutzen dabei bilanziell auch das selbst erzeugte, emissionsneutrale Methan.
„Es gilt, jetzt mit der Dekarbonisierung zu beginnen und nicht auf die Wunderwaffe Wasserstoff zu warten.“
Kritiker argumentieren, dass das Power-to-Gas-Verfahren zwar technisch machbar, aber auf absehbare Zeit weder skalierbar noch bezahlbar sei. Was entgegnen Sie diesen Stimmen?
Diese Argumentation lasse ich nicht gelten, die ist von vorgestern. Genau mit diesen Argumenten haben wir uns ab 2012 beschäftigt, als Power-to-X Technologien ins Gespräch kamen. Die Kritiker haben zum Beispiel damals nur die Speicherung von Überschussstrom und den Wirkungsgrad des Strompfades im Vergleich mit Batteriespeichern betrachtet. Die entstehende Wärme hat man in die Luft geblasen und dann die Verluste beklagt. Energie geht aber nicht verloren, wie wir wissen, und mittlerweile ist man viel weiter. Schauen Sie sich doch die Entwicklungen bei der Elektrolyse und den PV-Anlagen an. Die Systeme werden immer effizienter und man nutzt die Wärme, so werden die gesamten Systeme immer weiter optimiert. Batteriespeicher werden auch immer besser und günstiger und sind natürlich auch ein Teil der Lösung, kommen aber bei sehr großen Speicherkapazitäten wirtschaftlich an ihre Grenzen. Und die Skalierung bei Power-to-Gas hat auch längst eingesetzt. Sowohl die Mengenskalierung bei allen notwendigen Komponenten als auch in der Größe. Dazu braucht man sich nur die Projekten in Deutschland und weltweit im Power-to-X-Bereich anzuschauen.
Könnte synthetisches Methan Ihrer Einschätzung nach mittelfristig einen Ersatz für fossiles Erdgas darstellen oder sehen Sie es eher als ergänzende Lösung in einer Übergangsphase?
Technologisch ist dies wie beschrieben grundsätzlich machbar, aber natürlich darf man nicht blauäugig sein. Die Dynamik eines Hochlaufs wird von vielen Faktoren beeinflusst und diese bestimmen, ob daraus ein Business Case wird. Nur dann werden solche Systeme im großtechnischen Maßstab umgesetzt und erzielen einen spürbaren Effekt. Aber genau wie mit Biogas geht es darum, jetzt mit der Dekarbonisierung zu beginnen und diese sukzessive zu steigern und nicht auf die Wunderwaffe Wasserstoff zu warten. Bei Benzin und Diesel werden ja auch Biokraftstoffe zunehmend beigemischt. Man könnte synthetisches Methan als Brückentechnologie sehen, aber die Brücke ist mit Sicherheit noch sehr lang.
Welche politischen oder regulatorischen Rahmenbedingungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, damit diese Technologien eine größere Rolle in der deutschen Energiepolitik spielen können?
Es geht uns nicht nur darum, unsere eigene Technologie weiter nach vorne zu bringen, sondern die Energiewende. Die Transformation wird aus meiner Sicht aus vielen Puzzleteilen bestehen. Dazu gehören neben Wind-, Sonnen- und Wasserkraft und Geothermie unter anderem Batteriespeicher, Wärmepumpen, die Power-to-X-Technologien und vieles mehr. Wichtig ist insgesamt für alle eine gewisse Technologieoffenheit, das heißt, der Wirtschaft auch einmal die Entscheidungen zu überlassen und nicht nach jedem Minister- oder Regierungswechsel eine ideologisch gefärbte und von Lobbyisten beeinflusste Kehrtwende. Nicht wie einzelne Entscheidungen auf EU- oder Bundesebene ausfallen, sondern die fehlenden Stabilität und Verlässlichkeit und damit Planbarkeit sind das eigentliche Gift. Das fehlende Vertrauen macht so auch die langfristigen Finanzierungen von Projekten durch Banken und Investoren extrem schwierig. Saubere Energie ist im Übermaß vorhanden und auch die Technologien zur Nutzung und Speicherung – daran scheitert die Transformation jedenfalls nicht.
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