Donnerstag, 28. August 2025

InterviewLebensrealitäten im Blick behalten

[17.08.2020] Der ländliche Raum ist von der Energiewende stärker betroffen als die Städte. Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat deshalb ein Positionspapier zum Klimaschutz vorgelegt. stadt+werk sprach darüber mit DLT-Präsident Reinhard Sager.
Reinhard Sager

Reinhard Sager

(Bildquelle: Deutscher Landkreistag)

Herr Landrat Sager, der Deutsche Landkreistag hat Anfang des Jahres ein Positionspapier „Klimaschutz und erneuerbare Energien in den Landkreisen“ vorgelegt. Warum kann aus Ihrer Sicht die Klimawende nur mit den ländlichen Räumen gelingen?

Die ländlichen Räume spielen in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle beim Klimaschutz. Zunächst befinden sich dort die meisten Anlagen, mit denen die erneuerbaren Energien produziert werden. Da geht es um Windräder, Solarparks und Biogasanlagen, die man aus gutem Grund nicht in den Städten errichten kann. Dasselbe gilt für die Übertragungsleitungen – für die Energiewende müssen mehrere tausend Kilometer neuer Stromtrassen errichtet werden. Zumeist verlaufen diese Trassen durch ländlich geprägte Gebiete. Hinzu kommt, dass die Menschen, die in diesen Gebieten leben, oft längere Arbeitswege haben.

Was heißt das für die Klimaschutzpolitik?

Wenn wir beispielsweise über Klimaschutz im Rahmen von Mobilität reden, müssen wir die Lebensrealität der Menschen im Blick behalten. Für viele ist es gegenwärtig schlicht nicht möglich, für ihre täglichen Wege auf das Auto zu verzichten. In den Landkreisen leben rund 68 Prozent der deutschen Bevölkerung: Ohne diese Menschen und ihre Lebens- und Arbeitswelt zu berücksichtigen, wird es uns nicht gelingen, die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen. In der Großstadt denkt man über CO2-Bepreisung oder Windenergieausbau bisweilen anders als im ländlichen Raum. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns in den Landkreisen nicht mit großem Engagement für Klimaschutz und erneuerbare Energien einsetzen. Es gibt nur eben einen Unterschied zwischen dem städtischen Blick auf diese Themen und der Lebensrealität der Menschen in den Landkreisen, die von der Energiewende ganz konkret und unmittelbar betroffen sind. Diesen Unterschied zwischen Stadt und Land beschreiben wir auch in unserem Positionspapier.

„Es gibt einen Unterschied zum städtischen Blick.”

Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?

Unsere Kernforderung ist es, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land bei allen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele berücksichtigt werden muss. Wir haben beispielsweise zustimmend zur Kenntnis genommen, dass das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung eine Erhöhung der Pendlerpauschale beinhaltet, um die besonderen Belastungen für die Menschen im ländlichen Raum auszugleichen. Wir fordern allerdings, dass diese Erhöhung nicht nur befristet bis 2026 gilt. Außerdem sollte sie schon ab dem ersten Kilometer gezahlt werden. Zugleich ist uns wichtig, dass für den Ausbau des ÖPNV und auch des Radverkehrs im ländlichen Raum entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wesentlich ist auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie der Erhalt der Grundversorgung.

Wurden einzelne Forderungen inzwischen bereits umgesetzt?

Aktuell umgesetzt wird unsere Forderung nach einer generalisierenden Abstandsregelung von Windrädern zu vorhandener Wohnbebauung. Um in den ländlichen Räumen die Akzeptanz für den Windkraftausbau zu erhöhen, haben wir uns dafür ausgesprochen, dass die Länder unter Berücksichtigung regionaler Erfordernisse entsprechende Abstände festlegen können. Neben der entsprechenden Änderung des Baugesetzbuchs wäre es zur Steigerung der Akzeptanz aus unserer Sicht ebenso erforderlich, dass die betroffenen Gemeinden und auch die Anwohner finanziell am Ertrag der Windräder beteiligt werden. Und um die Finanzen geht es bei einer weiteren Forderung zum kommunalen Klimaschutz: Aktuell ist die Förderung, welche die Landkreise für Klimaschutzmaßnahmen erhalten, sehr stark projektbezogen und erlaubt oftmals keine Verstetigung der erforderlichen Personalstruktur in den Kreisverwaltungen. Wir wünschen uns, dass wir hier weg von dem Projektcharakter hin zu einer dauerhaften, auskömmlichen Finanzierung kommen.

Was tun die Landkreise bereits für den Klimaschutz?

Sie sind sehr aktiv. Schon vor vielen Jahren haben sich die ersten Landkreise auf den Weg gemacht, ihre Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen. Wir haben Ende 2019 eine Umfrage durchgeführt, wonach es inzwischen in der weit überwiegenden Zahl der Landkreise Klimaschutzstrategien und Konzepte für erneuerbare Energien gibt. In den meisten Kreisverwaltungen beschäftigen sich Mitarbeiter im Schwerpunkt allein mit dem Klimaschutz. Innerhalb der Kreisverwaltung geht es dann beispielsweise um Energieeinsparungen, die energetische Sanierung von kreiseigenen Liegenschaften, die Beschaffung von klimafreundlichen Produkten oder die Umstellung des kreiseigenen Fuhrparks auf klimafreundliche Antriebstechniken. Daneben beraten wir die Bevölkerung zu Energie- und Klimaschutzthemen oder führen Aktionen dazu durch. Nicht nur dabei ist es nach meiner Erfahrung wichtig, die kreisangehörigen Gemeinden einzubinden, sodass möglichst alle Akteure an einem Strang ziehen.

Welche Chancen bieten Energiewende und Klimaschutzpolitik für die wirtschaftliche Entwicklung?

Hierin liegen zweifellos erhebliche Chancen. So ist es für die Menschen eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität, wenn das Nahverkehrsangebot ausgebaut oder neue Radwege gebaut werden. Dorfentwicklung und energetische Sanierung müssen zusammen gedacht werden, um attraktive Ortskerne als Wohn- und Lebensräume zu erhalten. Die Landkreise, die sich bereits seit vielen Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien engagieren, legen beeindruckende Zahlen zur regionalen Wertschöpfung vor. Wichtig ist allerdings, dass die Wertschöpfungspotenziale selbst realisiert werden und damit der dortigen Bevölkerung zugutekommen.

Interview: Alexander Schaeff

Sager, ReinhardReinhard Sager ist Landrat des Kreises Ostholstein und seit 2014 Präsident des Deutschen Landkreistags. Der CDU-Politiker war von 1992 bis 2001 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Erste politische Mandate übernahm der Diplom-Verwaltungswirt als Gemeindevertreter in Grömitz und als Kreistagsabgeordneter in Ostholstein.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Klimaschutz

AEE: Hoyerswerda ist Energie-Kommune des Monats

[21.08.2025] Die Stadt Hoyerswerda ist jetzt von der Agentur für Erneuerbare Energien als Energie-Kommune des Monats ausgezeichnet worden. Mit wissenschaftlicher Begleitung bereitet sich die Lausitzstadt auf das Ende der Kohlewärme vor. mehr...

Mannheim: Spitzenreiter im Klimaschutz

[14.08.2025] Mannheim gehört erneut zu den internationalen Spitzenreitern im Klimaschutz. Die Stadt erhielt zum dritten Mal in Folge die Bestnote A der Umweltorganisation CDP für ihre transparente Klimabilanz und wirksame Strategien. mehr...

Stuttgart: Neuer digitaler Klimaatlas

[08.08.2025] Ein neuer digitaler Klimaatlas unterstützt Planerinnen und Planer in der Region Stuttgart bei der klimaresilienten Stadtentwicklung. Das vom Forschungsprojekt ISAP entwickelte Online-Tool liefert aktuelle Klimadaten, Szenarien und Bewertungen möglicher Anpassungsmaßnahmen. mehr...

bericht

Emissionshandel: CO₂-Ausstoß im Energiesektor sinkt stark

[18.07.2025] Der Europäische Emissionshandel besteht seit 20 Jahren. In Deutschland sind die Emissionen der beteiligten Anlagen seitdem um fast die Hälfte gesunken. Besonders stark wirkt der Handel im Energiesektor. mehr...

bericht

Stuttgart: Klimaschutz zahlt sich aus

[17.07.2025] Die Landeshauptstadt Stuttgart hat ihren Energieverbrauch im Jahr 2023 weiter gesenkt und auch die Emissionen konnten reduziert werden. Dennoch wurde der CO₂-Zielwert knapp überschritten. Die Einsparungen summieren sich allerdings auf über 80 Millionen Euro. Dies geht aus dem aktuellen Energie- und Klimaschutzbericht hervor. mehr...

ASEW: Erweiterung des Netzwerks

[17.07.2025] Die ASEW baut ihr Netzwerk weiter aus. Nach Dreieich und Blomberg lässt nun auch Oberursel sein Stromportfolio durch die ASEW prüfen, dort sogar mit dem höheren ok‑power‑plus‑Siegel. mehr...

Stuttgart: Klimazwischenziel erreicht

[16.07.2025] Stuttgart hat sein Klimazwischenziel erreicht: Der neue Energie‑ und Klimaschutzbericht weist für 2023 einen Rückgang der CO₂‑Emissionen um 54 Prozent und des Endenergieverbrauchs um 23 Prozent gegenüber 1990 aus. mehr...

bericht

Klimawandel: Klimaresiliente Infrastruktur

[04.07.2025] Hitzeperioden, Trockenzeiten, Starkregen und Überflutungen nehmen zu – der Klimawandel stellt Städte und Gemeinden vor Herausforderungen. Klimaschutz und gezielte Maßnahmen zur Klimaanpassung werden wichtiger. Kommunale Unternehmen nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. mehr...

Baden-Württemberg: Energie bei landeseigenen Gebäuden eingespart

[24.06.2025] Mit über 500 Einzelmaßnahmen hat das Land Baden-Württemberg im vergangenen Jahr gezielt in den Klimaschutz seiner Liegenschaften investiert. Der Energieverbrauch wurde deutlich gesenkt, die Nutzung erneuerbarer Energien ausgebaut – bei Kosten von mehr als 90 Millionen Euro. mehr...

Baden-Württemberg: Unterstützung für Energieagenturen aufgestockt

[20.06.2025] Baden-Württemberg hat jetzt die finanzielle Unterstützung für regionale Energieagenturen verdoppelt. Ziel ist der flächendeckende Ausbau kostenloser Beratungsangebote zu Klimaschutz, Energieeffizienz und Wärmewende. mehr...

Stuttgart: Klima-Innovationsfonds erhält Auszeichnung

[11.06.2025] Der Stuttgarter Klima-Innovationsfonds wurde auf dem Deutschen Kommunalkongress in Berlin doppelt mit dem „Bewährt vor Ort“-Siegel ausgezeichnet. Die Jury würdigte das Projekt als bundesweites Vorbild für Klima- und Ressourcenschutz sowie zukunftsweisende Verwaltungsarbeit. mehr...

Burbach: Auszeichnung als Energie-Kommune des Monats

[19.05.2025] Die Gemeinde Burbach im Siegerland wird von der Agentur für Erneuerbare Energien als Energie-Kommune des Monats Mai ausgezeichnet. Die Kommune überzeugt mit einem ganzheitlichen Ansatz zur Energiewende – von Gebäudesanierungen über Mobilitätskonzepte bis hin zur Bürgerbeteiligung. mehr...

Climate Star Award: Vier deutsche Städte ausgezeichnet

[13.05.2025] Vier deutsche Städte haben jetzt den Climate Star Award 2025 für vorbildlichen kommunalen Klimaschutz erhalten. Das Klima-Bündnis würdigt ihre innovativen Projekte bei einer Gala in Österreich. mehr...

Wiesbaden: Klimaplan verabschiedet

[08.05.2025] Wiesbaden will bis 2045 klimaneutral werden – der Magistrat hat dafür einen umfassenden Klimaplan verabschiedet. 73 konkrete Maßnahmen sollen die Emissionen der Stadt deutlich senken und den Weg zur nachhaltigen Transformation ebnen. mehr...

Würzburg: Kurs auf Klimaneutralität

[28.04.2025] In Würzburg sinken Energieverbrauch und CO2-Ausstoß. Das zeigt der aktuelle Klimabericht der Stadt. Doch das Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, bleibt ehrgeizig, sagt Bürgermeister Martin Heilig. Er fordert, das Tempo hoch zu halten. mehr...