InterviewDifferenzen nur im Detail

Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien.
(Bildquelle: Agentur für Erneuerbare Energien (AEE))
Herr Vohrer, die Agentur für Erneuerbare Energien hat in einem Jahresreport die föderalen Aktivitäten bei der Energiewende beleuchtet. Ziehen die Bundesländer an einem Strang?
Die vordringliche Frage wäre, ob sie an dem Strang in die gleiche Richtung ziehen. Aber Scherz beiseite: Natürlich vertritt jedes Bundesland erst einmal seine eigenen Interessen. Allerdings geht es bei der Politik ja glücklicherweise nicht nur um die eigene Perspektive, sondern auch um gemeinsame Ziele und um Kooperation. Es herrscht Einigkeit bei den Bundesländern, dass die Energiewende notwendig und anzustreben ist – insbesondere weil der Ausbau erneuerbarer Energien neben der ökologischen Dringlichkeit auch erhebliche ökonomische Vorteile bietet und so letztlich auch Eigeninteressen der Länder bedient. Gerade in strukturschwachen Regionen und Ländern konnten so ganz neue wirtschaftliche Perspektiven geschaffen werden. Und zudem ist das energiepolitische Handeln der Länder ja in die Bundespolitik eingebettet, die durch Zielvorgaben und Fördermechanismen die Ausrichtung der Länder mitbestimmt – auch wenn die Länder natürlich viele Spielräume zur Gestaltung dieses Prozesses haben. Kurz gesagt, glaube ich schon, dass die Länder hinsichtlich der übergreifenden Ziele an einem Strang ziehen, auch wenn es im Detail Differenzen und Kontroversen gibt.
Welche Energiekonzepte mit welchen Schwerpunkten gibt es in den einzelnen Ländern?
Auch hier gilt: Einigkeit bei den großen Leitlinien, Unterschiede im Detail – was aber wiederum an den unterschiedlichen geografischen und strukturellen Bedingungen liegt. Ein Stadtstaat hat nun mal nicht so viel Fläche wie Niedersachsen oder Bayern, der Norden hat die größeren Windpotenziale und in landwirtschaftlich geprägten Ländern lassen sich besser Bioenergienutzungspfade in die vorhandenen Kreisläufe integrieren. Die einzelnen Schwerpunkte sind daher so vielfältig wie die Länder selbst. Zwei aus meiner Sicht spannende Entwicklungen möchte ich dennoch ansprechen: Erstens haben sich so gut wie alle Länder nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima und den darauf folgenden Beschlüssen der Bundesregierung neue Energiekonzepte gegeben oder arbeiten aktuell daran. Das zeigt, dass die Implementierung der Energiewende auch in den Bundesländern dynamisch vorangeht. Und zweitens hält gerade bei den in jüngster Zeit verabschiedeten Konzepten neben den konkreten energiepolitischen Maßnahmen immer mehr der Faktor Akzeptanz Einzug – übrigens ein Thema, das unsere Agentur seit Jahren beobachtet. Hier hat die Politik dazu gelernt und will die Menschen inzwischen stärker mitnehmen.
Wo liegen die wesentlichen Unterschiede in den Zielen und Strategien?
Am augenfälligsten sind die Unterschiede in der Bewertung, wie stark welcher Energieträger eingesetzt werden soll. Da spielen zum einen politische Sichtweisen eine Rolle, zum anderen hängt der Einsatz auch stark von den vorhandenen Potenzialen ab. Einen erheblichen Unterschied sehen wir im Grad der Planungen: Während manche Länder detailliert für die einzelnen Energieträger und Sektoren Potenziale ermitteln und Ziele ausgeben, bleiben andere Länder dabei relativ vage. Hier würden wir uns von allen Ländern klare, überprüfbare Vorgaben wünschen, die idealerweise in den gleichen Größen, Einheiten und Zeiträumen angegeben werden. Unterschiede gibt es hinsichtlich der Weiternutzung von Kohle, dem Netzausbau oder der Frage nach Im- und Exporten von Strom sowie beim Strommarktdesign, wo Nord- und Südländer hinsichtlich der Notwendigkeit von Kapazitätsmärkten uneinig sind.
Welche Länder sind die Vorreiter bei der Umstellung auf erneuerbare Energien?
Wenn man nur den Stromsektor betrachtet, liegen Windländer wie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch Sachsen-Anhalt und Niedersachsen sehr weit vorn. Auch in Bayern werden dank Wasserkraft, Photovoltaik und Bioenergie schon hohe Anteile des eigenen Stromverbrauchs erneuerbar gedeckt. Im Wärmesektor ist Baden-Württemberg mit seinem Erneuerbare-Wärme-Gesetz Vorreiter.
Wie gehen Sie vor bei der Bewertung der Aktivitäten?
Um herauszufinden, welchen Stand die Länder in Sachen erneuerbare Energien erreicht haben, erstellen wir gemeinsam mit unseren wissenschaftlichen Partnern, dem DIW Berlin und dem ZSW Baden-Württemberg, alle zwei Jahre eine umfangreiche Vergleichsstudie. Nachdem in den ersten drei Untersuchungen Brandenburg ganz oben war, hat in der letzten Studie von 2014 Bayern die meisten Punkte erzielt, gefolgt von Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Da die Studie aus vielen Einzelindikatoren besteht, lässt sich aber auch ein genaues Stärken-Schwächen-Bild zeichnen: Bayern hat etwa vor allem wegen dem bislang starken bürgergetriebenen Ausbau der Erneuerbaren die meisten Punkte geholt – obwohl gleichzeitig die aktuelle Energiepolitik des Landes sehr ambivalent bewertet wurde. Dies zeigt, dass kein Land über alle Kategorien vorne dabei ist und überall noch Verbesserungspotenzial besteht. Mit unserer Studie wollen wir diese Möglichkeiten aufzeigen und eine Realisierung anreizen.
„Der Ausbau erneuerbarer Energien bringt ökonomische Vorteile.“
Lässt sich die Energiepolitik der Bundesländer an den jeweiligen Koalitionen ablesen, oder sind sich die Parteien einig über die Ziele der Energiewende?
Die Parteien sind sich großteils einig über die Energiewende. Sicherlich kann man eine landläufige Meinung bestätigen und den grünen Energie- und Umweltministern eine besonders ambitionierte Energiewende-Politik bescheinigen. Aber die Grünen sind eben nicht mehr die einzigen Verfechter des Ausbaus erneuerbarer Energien. Ich habe ja etwa Mecklenburg-Vorpommern als Vorreiterland genannt, das von einer Großen Koalition regiert wird. Das unionsgeführte Bayern hat wie beschrieben sogar unseren aktuellen Bundesländervergleich gewonnen, auch wenn die aktuelle Landespolitik dort nicht mehr so progressiv scheint wie noch vor vier Jahren. Kurz gesagt: Die Energiewende ist Ausdruck des gesellschaftlichen Willens. Und das haben auch früher eher skeptische Parteien inzwischen verstanden und verinnerlicht. Einzig die FDP scheint sich zunehmend aus diesem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens verabschieden zu wollen – ohne dabei Alternativen anzubieten. Allerdings trägt diese Partei ja auch in keinem Bundesland mehr Regierungsverantwortung.
Wie ist Ihre Einschätzung: Hemmt der Föderalismus in Deutschland die Energiewende oder kommt dadurch ein Wettbewerb um die besten Lösungen in Gang?
Der Föderalismus macht die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung sicher nicht einfacher, dafür aber robuster und ausgewogener. Insgesamt sehe ich die Vielfalt der Akteure eher als Bereicherung, sowohl wegen des Wettbewerbsgedankens – es ist ja kein Geheimnis, dass die aggregierten Ziele der Länder die Zielmarken der Bundesregierung übertreffen –, aber auch, weil auf diese Weise neue Dinge im Kleinen ausprobiert werden können und nicht gleich alles auf großer Bühne implementiert werden muss. Das betrifft einerseits technische Innovationen, aber auch progressive Gesetzgebung. So war das Erneuerbare-Wärme-Gesetz in Baden-Württemberg Vorlage für eine ähnliche Bundesgesetzgebung. Ein anderes Beispiel: In Mecklenburg-Vorpommern wird gerade ein Beteiligungsgesetz vorbereitet, das Projektentwickler verpflichtet, den Bürgern vor Ort Anteile an neu installierten Windparks anzubieten. So etwas gibt es bisher in Deutschland nicht, und das kann bei erfolgreicher Umsetzung sicherlich Vorbild für ähnliche Regelungen in anderen Ländern werden. Vergleichbar läuft es aktuell bei den Klimaschutzgesetzen. In Nordrhein-Westfalen ist ein solches Regelwerk im Jahr 2013 in Kraft getreten, inzwischen haben Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen und seit Kurzem auch Berlin ähnliche Gesetze verabschiedet, weitere Bundesländer wollen nachziehen. Hier ist der Föderalismus auch Motor für den Fortschritt der Energiewende.
Wie bewerten Sie die Energiepolitik der Bundesregierung?
Die Bundesregierung bekennt sich klar zur Energiewende, das ist sehr zu begrüßen. Allerdings ist durch die Umstellung des EEG-Fördersystems eine erhebliche Unsicherheit in die Branche getragen worden. Gerade bei der Solar- und der Bioenergie macht sich dies in stark rückläufigen Ausbauzahlen bemerkbar. Für eine erfolgreiche Energiewende müssen hier die Ausbaubremsen wieder deutlich gelockert werden. Auch das gerade auf dem G7-Gipfel bekräftigte Bekenntnis zum Klimaschutz ist absolut richtig, muss aber stärker mit Leben gefüllt werden, etwa durch einen schrittweisen Kohleausstieg oder verstärkte Maßnahmen zum Einsatz erneuerbarer Energien im Wärme- und Verkehrssektor.
Welche energiepolitischen Entscheidungen wären aus Sicht der AEE auf Landes- und Bundesebene nötig, damit die Energiewende gelingt?
An oberster Stelle steht die Flexibilisierung und Verknüpfung der Versorgungssysteme. Das Vorhaben der Bundesregierung, erneuerbare Energien marktfähiger zu machen, ist ja vollkommen richtig – nur ist ein Markt immer abhängig von Rahmenbedingungen, weshalb diese konsequent auf die Erneuerbaren ausgerichtet werden müssen. Das Marktdesign muss flexible und innovative Lösungen anreizen. Hier ist vorrangig die Bundesebene gefragt. Auf Länderebene helfen klare und transparente Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energien, um einerseits Investoren anzulocken, Projekte zu ermöglichen und Wertschöpfung ins Land zu holen. Andererseits können durch klare Ziele auch Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung vermieden oder gemildert werden.
Welche Rolle spielen die Bundesländer aus Ihrer Sicht bei der Energiewende?
Der Ausbau Erneuerbarer-Energien-Anlagen vor Ort ist ein entscheidendes Handlungsfeld der Länder. Sie sind deutlich näher am Bürger als der Bund und können – etwa über Instrumente der Regionalplanung – sehr viel direkter Einfluss auf Diskussionsprozesse in den Kommunen nehmen. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit der Länder wichtig. Kein Land kann die Energiewende alleine meistern, gemeinsam hat man aber sehr gute Möglichkeiten. Das gilt insbesondere für umstrittene Themen wie den Netzausbau und die Frage nach Kapazitätsmärkten. Und zuletzt ist natürlich auch die Frage nach dem Kohleausstieg auf Länderebene relevant. Die entscheidenden Weichenstellungen werden hierzu zwar auf Bundesebene getätigt. Die betroffenen Länder müssten aber ein hohes Eigeninteresse haben, den mittelfristig unvermeidlichen Ausstieg aus der Braunkohle strategisch und offensiv anzugehen und eine zukunftsfähige Energieversorgung zu entwickeln, anstatt am Ende erst recht abrupte Strukturbrüche zu provozieren.
Dieses Interview ist in der Juli/August-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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