WindenergieNetzstabilität durch Offshore-Wind

Offshore-Windpark Borkum Riffgrund 1 erbringt stabilisierende Systemdienstleistungen für das Netz.
(Bildquelle: Ørstedt)
Offshore-Windstrom stellt einen wichtigen strategischen Baustein der Energie- und Klimapolitik Deutschlands und Europas dar. Das wurde auch auf dem Windenergie-Gipfel Mitte Mai dieses Jahres im dänischen Esbjerg deutlich. Gerade angesichts des Ukraine-Konflikts und der drohenden Energieknappheit fällt Offshore-Wind eine noch größere strategische Bedeutung für den künftigen Energiemix in Europa zu. Rund 7,8 Gigawatt (GW) betrug die Nennleistung der 1.501 Windräder in deutschen Offshore-Gewässern im Jahr 2021. Bis 2030 sollen es nach den Plänen der Ampelparteien 30 Gigawatt sein.
Bislang spielt Offshore-Windkraft als fluktuierende Energiequelle keine wichtige Rolle für die Stabilisierung des deutschen Stromnetzes. Mit einem wegweisenden Projekt in der Nordsee wird sich das ändern. Borkum Riffgrund 1 vor der gleichnamigen Nordseeinsel ist der erste deutsche Offshore-Windpark, dessen produzierter Strom systemstabilisierend ins deutsche Stromnetz eingespeist werden kann. Bereits seit dem Jahr 2015 speist die Anlage ins Stromnetz ein. Dass sie nun auch regelreservefähig ist, ist neu. Die 78 Turbinen haben jeweils eine Nennleistung von vier Megawatt (MW). Die innovative Lösung der Unternehmen Ørsted und Energy2market (e2m) wurde im Mai, einen Tag nach dem Windenergie-Gipfel in Esbjerg, der Fachöffentlichkeit vorgestellt.
Stromnetz stabilisieren
Der Windpark Borkum Riffgrund 1 zeigte nach erfolgreichem Abschluss einer vom Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT vorgegebenen komplexen Präqualifikation, dass Regelreserve in Form von Minuten und Sekundärregelreserve angeboten werden und in das Stromnetz eingespeist werden kann. Dadurch werden kurzfristige Netzschwankungen mit erneuerbarem Strom aus Offshore-Windenergie ausgeglichen. Der 312 MW starke Windpark erbrachte bereits Regelarbeit in Form von technisch anspruchsvoller negativer Sekundärregelreserve und kann das Stromnetz stabilisieren. Aus Sicht von TenneT handelt es sich dabei um ein Novum für einen Offshore-Windpark.
Bis zur Präqualifikation hat e2m das Projekt regelmäßig eng mit TenneT und den drei anderen deutschen Übertragungsnetzbetreibern abgestimmt. Insbesondere die Genauigkeitsanforderungen an die mögliche Einspeiseleistung, die für den Nachweis der Erbringung von entscheidender Bedeutung sind, und die Qualität der Prognosen für Windparks standen zur Debatte und konnten zuletzt überzeugend erfüllt werden. Für Regelleistung ist neben Geschwindigkeit in der Bereitstellung auch die Stabilität der erbrachten Leistung ausschlaggebend.
Komplexe Datenmodelle
Eine besondere Herausforderung sind die Prognosen zu Windgeschwindigkeiten und möglichen Einspeiseleistungen. Solche Prognosen sind bei einem Offshore-Windpark schwierig, denn die Gebotsabgabe am Regelenergiemarkt erfolgt am Vortag. Abhängig von der Zeitscheibe, für die geboten wird, können zwischen Gebot und Reserveerbringung bis zu 39 Stunden liegen. Die Qualität der Vorhersagen ist entscheidend. Der Windpark ist in der Lage, den so genannten Arbeitspunkt, der zur Bestimmung der Regelleistung genutzt wird, kontinuierlich anzupassen. Über den Leistungsfrequenzregler in der Leitwarte von TenneT wird der Offshore-Windpark mittelbar aktiviert. Darüber hinaus plant Energy2market exakt, wieviel Leistung für den nächsten Tag vermarktet werden soll. Sind die Wettervorhersagen ungenau, wird etwas weniger Leistung angeboten, die dann aber sicher bereitgestellt werden kann.
Zur Bestimmung der vermarktbaren Leistung wurde mittels eines Langzeit-Monitorings eine umfangreiche, sekundengenaue Auswertung durchgeführt. Nur durch die Nutzung komplexer Datenmodelle konnten die erheblichen Datenmengen sinnvoll verarbeitet werden. Zudem wurden vermarktungsseitig Preise simuliert und Parks bewertet, um die Profitabilität des Vorhabens zu fundieren. Das Präqualifikationskonzept von e2m wurde für alle vier deutschen Regelzonen freigegeben.
Offshore-Ausbau anschieben
In den ersten Monaten dieses Jahres wurden im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur (BNetzA) keine Inbetriebnahmen von neuen Offshore-Windkraftanlagen erfasst. Der Ausbau von Offshore-Anlagen in Deutschland stagniert. Im Juli konstatierten die Windenergiebranchenverbände BWE, BWO, Stiftung Offshore-Windenergie, VDMA Power Systems und WAB einen „Ausbaustopp der vergangenen Jahre“, durch den „Deutschland im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten“ sei. Angesichts des Ausbauziels von 30 GW bis 2030 wird schnell klar, welche Dynamik hier in den kommenden Jahren entstehen muss. Bis Ende 2022 sollen aber zwei weitere große Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee mit insgesamt 599 MW in Betrieb gehen.
Der Ausbau von Offshore-Wind in Europa läuft ebenfalls schleppend, wie eine Jahresstatistik von WindEurope vom Jahresanfang zeigt. Insgesamt wurden im Jahr 2021 nur 3,4 GW zugebaut, davon allein zwei GW in Großbritannien. Ein neues Rekordjahr lassen die Ausbauzahlen für 2022 erwarten. Nach Berechnungen des Beratungsunternehmens Rystad Energy wird der voraussichtliche Zubau für ganz Europa bei 4,2 GW liegen. Den Löwenanteil bilden dabei drei große Windparks in britischen Gewässern. Weitere kommerzielle Offshore-Stromerzeugungskapazitäten kommen aus Frankreich, Norwegen, Italien, Spanien, Deutschland und Dänemark. Dynamisch ist auch die Entwicklung im Ostseeraum. Sieben Anrainerstaaten planen bis 2030 eine Versiebenfachung der Kapazität auf 20 GW. Um das zu erreichen, sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Bornholm wird zentraler Energie-Hub.
Notwendiger, aber langer Weg
Das klingt vielversprechend für Lösungsmodelle wie in Borkum Riffgrund 1, doch die nationalen regulatorischen Anforderungen unterscheiden sich ebenso wie die technischen Voraussetzungen. Außerdem muss der nationale politische Wille gegeben sein. Der Weg zu dem Ziel, dass Offshore-Wind einen wesentlichen systemstabilisierenden Beitrag zum europäischen Verbundnetz leistet, wird ein langer sein. Notwendig ist dies aber auf jeden Fall.
Das Projekt von Ørsted und Energy2market zeigt, dass die Bereitstellung von Systemdienstleistungen durch erneuerbare Energien und die Stabilisierung der Stromnetze möglich ist. Eine Lösung für Europa ist aber noch weit entfernt. Neben diesem Meilenstein für die Energiewende entstehen neue attraktive Geschäftsfelder, die es Windparkbetreibern ermöglichen, das Potenzial ihrer Anlagen zusätzlich zur reinen Stromproduktion systemdienlich zu vermarkten. Ziel ist es, zukünftig weitere Offshore-Windparks zur Erbringung von Regelleistung zu befähigen und damit die Energiewende ein ganzes Stück voranzubringen. Erste weitere Offshore-Windparkbetreiber zeigen bereits Interesse an einer Regelleistungsvermarktung.
https://orsted.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September/Oktober 2022 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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