InterviewDer Kunde ist Maßstab unseres Handelns

Dr. Susanna Zapreva: „Die Rolle der Energieversorger wird durch die Digitalisierung infrage gestellt.”
(Bildquelle: enercity)
Frau Dr. Zapreva, die Energiewirtschaft ist nach wie vor durch Umbrüche gekennzeichnet. Wie wirkt sich dies ökonomisch auf einen kommunalen Versorger wie enercity aus?
Die Energiebranche befindet sich in einem grundlegenden Transformationsprozess, einige der traditionellen Geschäftsfelder funktionieren nicht mehr wie gewohnt. Selbst die stabilisierenden Monopolsegmente sind durch den Regulierungsdruck und die Energiewende stark gefordert. Der Wettbewerb beim Kunden ist nach wie vor stark und immer mehr Kundinnen und Kunden vollziehen die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einfach, bequem, nachhaltig und digital. Dadurch sind wir gefordert, uns neu zu erfinden.
Sie haben die Position als enercity-Chefin vor gut anderthalb Jahren angetreten. Wie haben Sie den Wechsel von Wien nach Hannover erlebt, ein Kulturschock?
Nein, keinesfalls ein Kulturschock. Aber wenn Wiener Schmäh auf reines Hochdeutsch trifft, kann es mal sehr lustig werden. Natürlich sind immer wieder Unterschiede zu erkennen, aber das macht das Leben auch spannend. Der Anfang, insbesondere das Jahr 2016, war etwas anstrengend, aber mittlerweile fühle ich mich sehr wohl.
Die Stadtwerke Hannover haben eine strategische Neuausrichtung unter dem Schlagwort enercity 4.0 eingeleitet. Was sind Inhalte und Ziele des Transformationsprozesses?
Die neue Strategie enercity 4.0 verfolgt das Ziel, enercity zur treibenden Kraft für die digitale Energiewelt von morgen zu machen. Wir wandeln uns vom reinen Energieanbieter zu einem innovativen Lösungsanbieter. In einer konsequenten Digitalisierung sehen wir dabei die Möglichkeit, mit innovativen Produkten und Erlebniswelten die Zahl unserer Kunden zu verdoppeln. Und sie hilft uns, Kostenstrukturen effizient und wettbewerbsfähig zu gestalten. Unser Anspruch ist, schneller und agiler zu sein als der Wettbewerb.
Wie kann das gelingen?
Wir müssen das gesamte Unternehmen so ausrichten, dass unsere Kunden jederzeit der Maßstab unseres Handelns sind. Wir müssen neue Lösungen für ihre individuelle Situation entwickeln – nicht, um sie zu binden, sondern um sie zu begeistern. Dadurch stärken wir unsere Position in Hannover und wachsen deutschlandweit. In der Produktion setzen wir stark auf regenerative Energie. Sowohl beim Strom als auch bei der Wärme wollen wir auf 50 Prozent erneuerbare Energien umstellen. Das Strom-, Wasser- und Glasfasernetz bauen wir als Zukunftsnetze aus. Das Fernwärmenetz wollen wir erneuerbarer und damit zukunftsfähig machen. Voraussetzung dafür ist die Stärkung unseres Ergebnisses. Dafür müssen wir unsere Erlöse erhöhen und Kostenstrukturen verbessern. Das versetzt uns in die Lage, in die Wachstumsfelder der Zukunft zu investieren: Elektromobilität, Energieeffizienz, dezentrale Erzeugung, intelligente Technologien und Netzdienstleistungen.
Mit einer neuen Fernwärme-Strategie soll auch die Wärmeversorgung von Hannover grüner werden?
Unser Plan ist, bis zum Jahr 2035 die Hälfte der Fernwärme aus erneuerbarer Energie zu gewinnen. Mit zwei Projekten haben wir bereits den Startschuss für eine umfassende Wärmewende in Hannover gegeben. Zum einen wollen wir Fernwärme durch Abwärmenutzung aus der bestehenden Müllverbrennungsanlage in Hannover gewinnen, zum anderen planen wir eine Klärschlammverbrennungsanlage. Nach Umsetzung dieser zwei Projekte schaffen wir es, ein Drittel der Fernwärme aus erneuerbaren Energien und Abwärme zu gewinnen. Damit wollen wir eine Vorreiterrolle einnehmen und auf einen möglichen Kohleausstieg Deutschlands vorbereitet sein.
„Wir wandeln uns zum innovativen Lösungsanbieter.”
Wie wirkt enercity am Klimaschutzprogramm der Landeshauptstadt Hannover mit?
Seit Beginn der 1990er-Jahre arbeitet enercity mit der Landeshauptstadt Hannover partnerschaftlich zusammen. Die Ziele der seit 2008 bestehenden, alle gesellschaftlichen Akteure einbeziehenden Klima-Allianz haben wir bereits 2015 übererfüllt und konsequent ausgeweitet. Dementsprechend enthält unsere neue Strategie anspruchsvolle Zielsetzungen für eine klimafreundliche Energieversorgung in der Zukunft, wobei wir alle unsere Kunden im Blick haben. Derzeit liegt der Fokus auf der Mobilität. Speziell im Bereich Urbane Logistik gibt es in Hannover von Oberbürgermeister Stefan Schostok angestoßene, großartige Initiativen mit Partnern wie VW-Nutzfahrzeuge und DHL. enercity, aber auch die Universitäten und Hochschulen setzen viele Maßnahmen um, damit die Umweltbelastung durch Verkehr reduziert und die Elektromobilität vorangebracht werden kann.
Wie wirkt sich die Digitalisierung der Energiewirtschaft aus, welche Chancen sehen Sie für Ihr Unternehmen?
Die Digitalisierung ist bereits in vielen Bereichen fester Bestandteil des Alltag der Menschen. Sie verändert die gesamte Wirtschaft – auch die Energiebranche. Zukünftig werden Systeme, Transaktionen und Netzwerke dezentral sein und unabhängig von zentralen Institutionen agieren können. Mit unserer Digitalstrategie verfolgen wir drei Ziele: Zum einen sind das die neuen innovativen Produkte und Geschäftsmodelle, die wir bei unseren Kunden platzieren. Dann haben wir mit dem Thema Big Data die Möglichkeit, unsere Services zu revolutionieren, was mich zum dritten Schwerpunkt führt, der darauf setzt, die Effizienzen im Unternehmen zu heben. Die Rolle der klassischen Energieversorger wird durch die Digitalisierung infrage gestellt. Energieversorger werden gezwungen sein, ihre Rolle neu zu definieren: Der Schlüssel zum Erfolg wird in Zukunft der Wandel sein und die Geschwindigkeit, mit der man diesen Wandel vollzieht.
Welche energiepolitischen Weichenstellungen erwarten Sie von der neuen Bundesregierung nach der Wahl?
Das Allerwichtigste aus meiner Sicht wird sein, die CO2-Preisentwicklung entsprechend der Ziele der Energiewende auszurichten. Darauf aufbauend können mit einer engen Verzahnung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität sowie industrieller Prozesse die klimapolitischen Ziele noch erreicht werden. Dafür muss bei der Entwicklung der Steuern und Abgaben bei Strom gegengesteuert werden. Auch bei den Ausschreibungsverfahren für den Ausbau der erneuerbaren Energien müssen Anpassungen vorgenommen werden. Die Energiewende findet vor allem in den Verteilnetzen statt, daher brauchen wir eine Dezentralisierung statt Zentralisierung. Deshalb muss die Netzentgeltsystematik stärker an die steigende Dezentralität und Volatilität ausgerichtet werden. Ganz wichtig ist aber, dass für die Investitionen sichere Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit wir unseren Fokus stärker auf unsere Kundinnen und Kunden richten können.
Eine persönliche Frage zum Schluss. Wünschen Sie sich mehr Frauen in Führungspositionen der Energiewirtschaft?
Ganz klares Ja. Gute Unternehmensführung sollte aber keine Frage des Geschlechts sein, sondern von den Fähigkeiten und Fertigkeiten der jeweiligen Personen geprägt sein. Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist aus meiner Sicht dann erreicht, wenn darüber nicht mehr gesprochen werden muss. Mit der Tatsache, dass dies ohne Frauenquoten in unserer Gesellschaft nicht machbar ist, kann niemand zufrieden sein.
Dieser Beitrag ist in der November/Dezember-Ausgabe 2017 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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