Freitag, 26. April 2024

Rekommunalisierung:
Chancen und Risiken der Netzübernahme


[21.3.2014] Für die Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze gibt es unterschiedliche Lösungen. Da die Thematik vielschichtig ist, sollten sich Städte und Gemeinden frühzeitig damit auseinandersetzen.

Die Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen bieten Chancen aber auch Risiken für die Kommunen. Aufgrund der per Gesetz festgelegten maximalen Vertragslaufzeit von 20 Jahren handelt es sich bei der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen um ein wiederkehrendes Szenario. Hintergrund dieser Laufzeitbeschränkung ist der gesetzgeberische Wille, mindestens alle 20 Jahre einen Wettbewerb um die Verteilnetze anzustoßen. Läuft ein Konzessionsvertrag mit einem privatwirtschaftlichen Netzbetreiber aus, kann sich die Gemeinde auf Basis der im Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz (GG) und im § 46 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geregelten kommunalen Selbstverwaltung grundsätzlich dafür entscheiden, das Netz der allgemeinen Versorgung selbst zu übernehmen und zu betreiben, die Netze also zu (re-)kommunalisieren. Allerdings gilt es bei der Netzübernahme durch die kommunale Hand im Vorfeld einige Punkte zu beachten und vor allem durchzukalkulieren.
Es gibt eine große Bandbreite an Varianten dafür, wie die Rekommunalisierung umgesetzt wird. Sie reicht von der Komplettübernahme des Netzbetriebs bis hin zu Kooperationen zwischen Kommunen und der Beteiligung von strategischen Partnern. Insbesondere die Variante der Stadtwerkegründung erfreut sich großer Beliebtheit. Ein Beispiel der Bürgerbeteiligung an der Rekommunalisierung ist die Rheinhessen-Energie aus Rheinland-Pfalz. Diese wurde unter anderem von der Kommune und einer Bürgergenossenschaft initiiert und hat bereits in großen Teilen der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen die Stromnetze übernommen. Für 2014 sind weitere Stromnetzübernahmen geplant. Die Gasnetzübernahme für sämtliche Gemeinden ist ab dem Jahr 2019 vorgesehen.

Kommunen im Verfahren

Die Durchführung einer Konzessionsvergabe ist eine vielschichtige Thematik. Daher ist es äußerst wichtig, dass sich Städte und Gemeinden frühzeitig vor Auslaufen des bisherigen Vertrags damit auseinandersetzen. Kommunen können bei der Vergabe nicht völlig frei agieren, sondern müssen vom Gesetzgeber festgelegte Regeln beachten. Nach Ansicht der Kartellbehörden verfügt die Kommune bei der Vergabe von Wegerechten in ihrem Gemeindegebiet über eine marktbeherrschende Stellung. Deshalb kommen im Konzessionswettbewerb die allgemeinen Vorschriften des Wettbewerbsrechts zur Anwendung. Auch hier ist der Grundgedanke, den Wettbewerb um die Netze zu fördern und die Prämissen der Gleichheit, Nichtdiskriminierung und Transparenz bei der Konzessionsvergabe zu gewährleisten.
Das EnWG sieht vor, dass der Altkonzessionär dem Neukonzessionär die Netze gegen Zahlung einer angemessenen wirtschaftlichen Vergütung übereignen muss. Dieser Punkt sorgt nicht selten für Streitpotenzial zwischen den Parteien, denn die wirtschaftliche Bewertung von Energienetzen wird von unterschiedlichen Parametern bestimmt. In der Praxis wird die wirtschaftlich angemessene Vergütung auf Basis des Sachzeitwerts, des kalkulatorischen Restwerts sowie des Ertragswerts ermittelt. Im so genannten Kaufering-Urteil aus dem Jahr 1999 kam der Bundesgerichtshof zu folgendem Ergebnis: Die Endschaftsklausel – eine Bestimmung in einem Konzessionsvertrag, welche ein Entgelt für die Übertragung des örtlichen Versorgungsnetzes in Höhe des Sachzeitwerts zum Ende der Vertragslaufzeit vorsieht – ist unwirksam, wenn der Sachzeitwert den Ertragswert des Netzes nicht unerheblich übersteigt. Diese Rechtsprechung ist auch heute noch gültig und wird von der Bundenetzagentur und dem Bundeskartellamt im gemeinsamen Leitfaden zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers bestätigt. Außer den Kosten für die Netzübernahme ist zu beachten, dass Netzentgelte und damit einhergehende mögliche Renditen des künftigen Netzbetriebs maßgeblich durch die Anreizregulierung bestimmt werden.

Aufgaben des Netzbetreibers

Eine Netzübernahme ist nicht nur mit Vorteilen verbunden. Die Aufgaben, welche der Verteilnetzbetreiber erfüllen muss, sind zum Teil sehr detailliert vom Gesetzgeber festgeschrieben. So verpflichtet ihn zum Beispiel das EnWG dazu, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Versorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben und zu warten. Er muss es bedarfsgerecht optimieren und ausbauen, soweit dies wirtschaftlich zumutbar ist. Weitere Regelungen finden sich vor allem im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), der Stromnetzentgeltverordnung, der Anreizregulierungsverordnung sowie in der Ausgleichsmechanismusverordnung.
Eine pauschale Antwort für oder gegen die Rekommunalisierung verbietet sich aufgrund der Komplexität des Themas. Stattdessen muss jeweils eine Einzelfallentscheidung getroffen werden. So ist zum Beispiel allein die Gemeindegröße kein wirksames Eingrenzungsmittel, da die letztendliche Wirtschaftlichkeit eines rekommunalisierten Netzes stark von der individuellen Ausgestaltung abhängig ist. Generell empfiehlt es sich, das absehbare Auslaufen eines Konzessionsvertrags als Startpunkt zu sehen, um sich frühzeitig mit den Vor- und Nachteilen einer Rekommunalisierung auseinanderzusetzen.

Anika Titze studierte Wirtschafts- und Umweltrecht mit Schwerpunkt Energiewirtschaftsrecht. Seit 2013 ist sie als Referentin für Energierecht bei der Energieagentur Rheinland-Pfalz tätig. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Umwelt-Campus Birkenfeld im Fachbereich Umweltwirtschaft/Umweltrecht.

http://www.energieagentur.rlp.de
Dieser Beitrag ist in der März-Ausgabe von stadt+werk im Titelthema Perspektiven der Energieversorgung erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Rekommunalisierung, Bürgerbeteiligung

Bildquelle: creativ collection Verlag / MEV Verlag / PEAK Agentur für Kommunikation

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