Montag, 4. November 2024

ThüringenBioenergie sichert Arbeitsplätze

[15.03.2012] Biomasse leistet einen entscheidenden Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien, sagt Jürgen Reinholz. Der thüringische Umweltminister spricht im stadt+werk-Interview über die Vorteile von Bioenergie und die Bedeutung von Biogasanlagen für den ländlichen Raum.
Im Interview: Jürgen Reinholz

Im Interview: Jürgen Reinholz

Jürgen Reinholz, Jahrgang 1954, ist seit 2009 Thüringer Minister für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz. Von 2003 bis 2009 war er Wirtschaftsminister des Freistaats. Vor seinen politischen Ämtern war Jürgen Reinholz Geschäftsführer der Landes

(Bildquelle: Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz)

Herr Minister, 2011 war ein Boomjahr für Biogas in Thüringen, war kürzlich zu lesen. Liegt das an einer konsequenten Förderpolitik Ihres Ministeriums?

Tatsächlich hat sich in den vergangenen drei Jahren der Bestand an Biogasanlagen in Thüringen etwa verdoppelt. Waren es Anfang 2009 noch 118 Anlagen mit installierten 55 Megawatt elektrischer Leistung, hatten wir Ende des vergangenen Jahres schon 220 Anlagen mit einer installierten elektrischen Leistung von etwa 100 Megawatt. Mehr als 90 Prozent der Thüringer Biogasanlagen wurden in landwirtschaftlichen Betrieben errichtet. Diese Entwicklung ist einerseits ein Ergebnis der garantierten Einspeisevergütung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, insbesondere des EEG 2009. Aber auch die Möglichkeiten innerhalb des Thüringer Agrar­investitions­förderungs­programms haben vielen landwirschaftlichen Betrieben die Investitionsentscheidung erleichtert. Nicht zuletzt ist der Zuwachs an Anlagen ein Verdienst des Thüringer Bioenergieprogramms der Landesregierung von 2006.

Was leistet das Programm?

Das Programm regte die Einrichtung einer unabhängigen Bioenergieberatung an, die 2008 als BIOBETH gegründet wurde. BIOBETH berät vor allem Kommunen und begleitet Bioenergieprojekte mit Machbarkeitsstudien und Öffentlichkeitsarbeit. Häufig ist sehr viel Aufklärungsarbeit notwendig, um Bioenergieprojekte in Kommunen durchzusetzen oder Bioenergie­dörfer zu initiieren.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht Biomasse bei der Energiewende?

Im Jahr 2010 wurden bereits rund 40 Prozent der Gesamtstromerzeugung in Thüringen, das sind etwa 2.900 Gigawatt-Stunden, aus erneuerbaren Energien gewonnen. Damit könnten alle Thüringer Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden. Der Anteil der Biomasse daran lag bei rund 46 Prozent. Die erneuerbaren Energien stellten 2009 über 24 Prozent des gesamten Nettostromverbrauchs in Thüringen, Biomasse war daran zu mehr als der Hälfte beteiligt. Thüringen importiert derzeit aber noch etwa die Hälfte seines Strombedarfs. Der Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch für Wärme betrug fast 22 Prozent und wird fast ausschließlich durch Biomasse geliefert. Die Energiewende muss einerseits vom konsequenten Ausbau aller erneuerbaren Energien, aber auch von der Steigerung der Energieeffizienz getragen werden. Biomasse wird zum Ausbau der erneuerbaren Energien weiterhin einen entscheidenden Beitrag leisten. Mittelfristig rechne ich damit, dass sich der derzeitige Anteil der Biomasse an den Erneuerbaren von mehr als 80 Prozent auf etwa 70 Prozent verringert, wenn Wind- und Solaranlagen ausgebaut werden.

Wo liegen die besonderen Vorteile von Bioenergie?

Die Vorteile der Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung liegen auf der Hand: Damit werden knapper werdende fossile Energieträger geschont. Es wird nicht mehr Kohlendioxid freigesetzt, als zuvor von den Pflanzen aufgenommen wurde – Biomasse trägt damit zum Klimaschutz bei. Biomasse kann als fester, flüssiger oder gasförmiger Energieträger zur Verfügung gestellt werden. Damit kann sie sowohl zur Erzeugung von Wärme und Strom eingesetzt werden als auch Kraftstoffe ersetzen. Im Gegensatz zur Wind- und Sonnenenergie kann sie kontinuierlich erzeugt und gespeichert werden. Kurzum: Sie ist die vielseitigste der erneuerbaren Energien. Aus meiner Sicht gibt es aber noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Bioenergie, für deren Erzeugung die Land- und Forstwirtschaft prädestiniert sind, bringt Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

„Insgesamt könnten etwa 20 Prozent des Energieverbrauchs in Thüringen durch Biomasse abgedeckt werden.“
Welches Potenzial hat Biomasse im Energiemix im Freistaat?

Das Potenzial an nutzbarer Biomasse aus der Land- und Forstwirtschaft ergibt sich zum einen aus den anfallenden Neben- und Restprodukten wie Waldrestholz, Wirtschaftsdünger aus der Tierproduktion oder Stroh aus dem Getreideanbau. Zum anderen können Potenziale aus dem Anbau von Bioenergiepflanzen erschlossen werden. Allerdings hat für die Landwirtschaft die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln Vorrang und somit kann die Biomasseproduktion für die energetische Verwertung nicht unbegrenzt ausgeweitet werden. Die Biomassepotenzialstudie der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft kommt zu dem Ergebnis, dass 20 bis 25 Prozent der Ackerfläche und 10 Prozent des Grünlandes für energetische Zwecke genutzt werden könnten, ohne die Versorgung mit Nahrungs- und Futtermitteln zu gefährden. Insgesamt wäre es möglich, etwa 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Thüringen durch Biomasse abzudecken.

Welche Formen von Biomasse sind besonders vielversprechend für die Energieerzeugung?

Erfolgreich genutzt werden bereits Holz, landwirtschaftliche Nebenprodukte oder Energiepflanzen vom Acker- und Grünland. Hier besteht die Herausforderung darin, deren Primärenergiepotenzial so effizient wie möglich zu nutzen, indem wir ökologisch und ökonomisch tragfähige Technologien entwickeln oder etablieren. Zum Beispiel sind größere Strohheizungen und Strohheizkraftwerke zur Grundlastversorgung und Versorgung von Nahwärmenetzen denkbar. Die Kraft-Wärme-Technologie muss konsequenter genutzt werden. Wir könnten uns zusätzliche Holzpotenziale erschließen durch Nutzung von Energieholz aus Kurzumtrieb oder Agroforstsystemen. Schließlich lassen sich auch in Biogasanlagen Wirtschaftsdünger und silierfähige Energiepflanzen noch effizienter nutzen.

Mehr als 90 Prozent aller Thüringer Biogasanlagen stehen in bäuerlichen Betrieben. Welche Chancen und Risiken sehen Sie für die Landwirtschaft?

Ich sehe sehr gute Chancen für die landwirtschaftlichen Biogasanlagen, auch nach dem novellierten EEG. Die Anlagenbetreiber erhalten weiterhin die garantierte Einspeisevergütung für 20 Jahre. Mit dem Betriebszweig Energieproduktion haben sich die Unternehmen eine zusätzliche Einnahmequelle erschlossen und ihre Wertschöpfung erhöht. Die Anlagen werden im Schnitt mit einem Anteil von 70 Prozent mit Wirtschaftsdünger betrieben. Das heißt, durch die Vergärung der Gülle zu Biogas leisten die Biogasanlagen einen hervorragenden Beitrag zum Umweltschutz, werden dadurch doch erhebliche Treibhausgasemissionen vermieden und umweltfreundlich Strom und Wärme erzeugt. Außerdem hat sich die Effizienz der Biogasanlagen durch eine zunehmende Nutzung der Abwärme deutlich erhöht. Diese wird in Thüringen derzeit auf 30 bis 40 Prozent der nutzbaren Wärme geschätzt und ist nicht zuletzt auf die Fördermaßnahmen des Freistaats zu Nahwärme- und Biogasleitungen zurückzuführen. Durch diese Förderung konnten von 2008 bis 2011 insgesamt 20 Projekte bereits realisiert oder in Angriff genommen werden.

Wie wird der Freistaat den weiteren Ausbau der Bioenergie-Erzeugung unterstützen?

Damit sich Biomasse im Freistaat weiter durchsetzen und ihren Beitrag zur Energiewende leisten kann, müssen wir weiter zur Rohstoffbereitstellung und -verwertung forschen, Pilot- und Demonstrationsvorhaben initiieren sowie die daraus gewonnenen Erkenntnisse an die Bioenergie-Erzeuger weitergeben. Gerade habe ich mit meiner hessischen Ressortkollegin Puttrich und einem Fraunhofer-Institut eine Vereinbarung für ein gemeinsames Forschungsprojekt unterzeichnet. Darin wird erprobt, wie sich überschüssiger Strom aus Windkraft- und Solaranlagen mithilfe von Kohlendioxid aus Biogas in speicherbares Methan umwandeln lässt. Ich werde mich jedenfalls weiter für eine angemessene Unterstützung der Bioenergie einsetzen, soweit es unsere Haushaltssituation zulässt.

Interview: Alexander Schaeff, Verena Barth

Reinholz, JürgenJürgen Reinholz, Jahrgang 1954, ist seit 2009 Thüringer Minister für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz. Von 2003 bis 2009 war er Wirtschaftsminister des Freistaats. Vor seinen politischen Ämtern war Jürgen Reinholz Geschäftsführer der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen. Er ist seit 1990 Mitglied der CDU.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Bioenergie
Das Bild zeigt eine Biogasanlage, zu sehen sind Fermenter, Gasspeicher und die Gasaufbereitungsanlage.

dena-Branchenbarometer: Neue Chancen für Biomethan

[25.10.2024] Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen steigt das Interesse an neuen Biomethanprojekten. Das Gebäudeenergiegesetz und der Umbau der Gasnetze bieten der Branche vielversprechende Perspektiven, zeigt das dena-Branchenbarometer Biomethan. mehr...

Zu sehen ist die Startseite der Biodgas-Kampagne, dort steht: Biogas ist Zukunft - Schon heute.

Kampagne: Vorteile von Biogas in den Fokus rücken

[10.10.2024] Vier Biogas-Akteure haben heute eine bundesweite Kampagne gestartet, um die Potenziale von Biogas in den Fokus der Energiewende-Debatte zu rücken. Sie fordern mehr politische Unterstützung und betonen, dass Biogas bereits heute einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leistet. mehr...

Holz ist eine wichtige erneuerbare Wärmequelle.

Fachkongress Holzenergie: Klimanutzen von Holz

[23.09.2024] Auf dem 24. Fachkongress Holzenergie in Würzburg wurde die Bedeutung von Holz als erneuerbarer Wärmequelle diskutiert. Die Branche fordert klare politische Unterstützung, um die Energiewende voranzutreiben. mehr...

Landwärme-Insolvenz: Kommunikation „ungünstig“

[19.09.2024] Stadtwerke fürchten große Auswirkungen der Landwärme-Insolvenz. Das Kommunikationsverhalten des Unternehmens sei „ungünstig“, so der Branchenverband ASEW. mehr...

Laut einer Studie könnten flexible Biogasanlagen in Kombination mit Wasserstoffkraftwerken bis 2030 eine Reserveleistung von rund 26 Gigawatt bereitstellen.

Studie: Potenzial von Biogasanlagen

[12.09.2024] Biogasanlagen könnten eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der deutschen Stromversorgung spielen. Laut einer Studie der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen können bis 2030 durch die Flexibilisierung bestehender Anlagen zwölf Gigawatt Leistung bereitgestellt werden. mehr...

Stadtwerke Trier: Biogas verbessert Klimabilanz

[04.09.2024] Die Stadtwerke Trier wollen grüne Gase für die Energiewende in der Region. mehr...

Umweltorganisationen fordern den Berliner Senat und das kommunale Unternehmen BEW auf

Robin Wood: Keinerlei Schutz für Wälder

[04.09.2024] Die Berliner Nachhaltigkeitsvereinbarung für Biomasse garantiere keinerlei Schutz für Wälder und Natur, so der Naturschutzverband Robin Wood. mehr...

Biogasanlage: Die Rolle der Bioenergie soll gestärkt werden.

BMWK: Maßnahmenpaket für Bioenergie

[20.08.2024] Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat für den Herbst ein Biomassepaket zur Stärkung der Bioenergie in Deutschland angekündigt. Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, begrüßt die Initiative, mahnt aber zur Eile. mehr...

Auf Holzenergie wird kein CO2-Preis erhoben

Fachverband Holzenergie: Klarstellung des BMWK begrüßt

[13.08.2024] Holzenergie kann auch weiterhin ohne CO2-Bepreisung eingesetzt werden, so das Bundeswirtschaftsministerium. Für den Fachverband Holzenergie ist damit eine „Phantomdebatte“ beendet. Geschäftsführer Gerolf Bücheler fordert nun auch das Umweltbundesamt auf, seine Position zu überdenken. mehr...

Grundsteinlegung: Das BMW-Werk in Dingolfing wird künftig durch eine Biomasseanlage mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt.

Dingolfing: Prozesswärme für BMW

[02.08.2024] Die UP Energiewerke errichten in Dingolfing ein innovatives Biomasse-Heizkraftwerk, das das dortige BMW-Werk mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt. mehr...

Biogasalage: Der Bundesverband Bioenergie (BBE) hat die herausragende Bedeutung der Bioenergie betont.

BBE: Bioenergie schützt das Klima

[01.08.2024] Anlässlich der Fortschreibung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat der Bundesverband Bioenergie die zentrale Bedeutung der Bioenergie für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung in Deutschland hervorgehoben. mehr...

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall installieren einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental.

Schwäbisch Hall: Erstmals Wärme aus Holz

[05.07.2024] Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben mit den Bauarbeiten für einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental begonnen. mehr...

Bürgermeister Harald Stadler (links) und REWAG-Vorstandsvorsitzender Dr. Robert Greb vor dem Rohbau des Biomasseheizwerks in Neutraubling.

REWAG: Bio-Nahwärme für Neutraubling

[05.06.2024] Die REWAG baut ein Biomasseheizwerk für Nahwärme in Neutraubling. Es soll im Oktober 2024 in Betrieb gehen. mehr...

Unterzeichnung des Pakts Holzenergie Bayern im Kloster Ettal.

Bayern: Pakt für mehr Holzenergie

[03.05.2024] Der Freistaat Bayern setzt mit dem neuen „Pakt Holzenergie Bayern“ auf die Stärkung der energetischen Holznutzung. Ziel ist es, moderne Holzenergieanlagen in verschiedenen Bereichen zu fördern. mehr...

VSHEW-Vorstand Andreas Wulff will die Regelungen zur Einspeisung von Biomethan in das Erdgasnetz auf den Prüfstand stellen.

VSHEW: Einspeiseregeln auf den Prüfstand

[02.04.2024] Die aktuellen Regeln zur Biogaseinspeisung ins Gasnetz hält der Verband der Schleswig-Holsteinischen Energie- und Wasserwirtschaft für unverhältnismäßig und fordert eine gerechtere Kostenverteilung zwischen Anlagenbetreibern und Verbrauchern. mehr...