Mittwoch, 24. April 2024

Studie :
Energiequellen ausschöpfen


[7.8.2019] Kleine Wasserkraftwerke erzeugen dezentral Energie, mit geringen Netzverlusten und bei hoher Akzeptanz seitens der Bürger. Sie können dabei das Gesamtnetz stabilisieren und zum Naturschutz vor Ort beitragen – sofern die Politik für die passenden Rahmenbedingungen sorgt.

Politik sollte der Wasserkraft mehr Wertschätzung entgegenbringen. Die anhaltenden Fridays-for-Future-Demonstrationen und der Erfolg von Bündnis 90/Die Grünen bei der Europawahl zeigen eindrücklich, dass Umwelt- und Klimaschutz für weite Bevölkerungskreise von großer Bedeutung sind. In einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamts bewerteten im vergangenen Jahr 64 Prozent der Deutschen Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung. Mehr als je zuvor in der über 20-jährigen Umfragehistorie.
Im aktuellen Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung konkrete Klimaschutzziele für das Jahr 2030 gesetzt. Um diese zu erreichen, soll unter anderem der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor bis zum Zieljahr auf 65 Prozent gesteigert werden. In einer kürzlich veröffentlichten Szenariorechnung hat der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) gezeigt, dass Deutschland dieses Ziel mit den entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen erreichen kann. Würde das Potenzial mittels klarer Perspektiven für Planung und Investitionen voll ausgeschöpft, könnte die Branche bis 2030 den Anteil erneuerbaren Stroms sogar auf weit über 80 Prozent steigern.
Für eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen sind ein deutlich reduzierter Energieverbrauch und eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien notwendig. Bei der künftigen (Voll)versorgung durch regenerativen Strom werden Wind- und Solarenergie den größten Teil der Stromproduktion bestreiten. Sie bestechen durch sehr geringe Stromgestehungskosten und ein großes Ausbaupotenzial. Um fossile Energieträger jedoch vollständig zu ersetzen, sind sämtliche erneuerbare Energien erforderlich: Biomasse, Geothermie, Solarwärme und Wasserkraft. Jede von ihnen hat individuelle Qualitäten, die im Zusammenspiel eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen.

Verlässlicher Energieträger

Die rund 7.000 Wasserkraftwerke in Deutschland erzeugen derzeit jährlich durchschnittlich 20.000 Gigawattstunden Strom. Durch ihre lange Lebensdauer stellen sie ein kostengünstiges Element innerhalb der Energieversorgung dar. Eine vom Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) beauftragte Studie der Bergischen Universität Wuppertal hat gezeigt, dass kleine Wasserkraftwerke als verlässlicher Energieträger in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Sie reduzieren sowohl den Netzausbaubedarf auf Verteilnetzebene als auch Netzverluste bei der Einspeisung erheblich. Durch ihre gute Regelbarkeit sind sie außerdem in der Lage, künftig das Gesamtnetz zu stabilisieren. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Versorgungs- und Spannungsqualität auf der Verteilnetzebene. Ein Wegfall der kleinen Wasserkraftwerke hätte laut der BDW-Studie Mehrkosten von etwa einer Milliarde Euro beim Ausbau der Hochspannungsnetze sowie für zusätzliche Netzkomponenten wie Speicher und Regelungsanlagen zur Folge. Ein weiterer Vorzug der kleinen Wasserkraftwerke: Sie sind schwarzstartfähig, können also ohne externe Energiezufuhr anfahren.
Damit sie ihre Stärken im Energiemarkt ausspielen kann, muss die Politik die kleine Wasserkraft stärker gezielt unterstützen. Die aktuelle Energiepolitik des Bundes und vieler Länder hingegen setzt das Potenzial der Kleinwasserkraft aufs Spiel.

Potenziale nicht aufs Spiel setzen

Die in den vergangenen Jahren stetig steigenden ökologischen Anforderungen an bestehende Anlagen stellen für viele Wasserkraftbetreiber eine massive finanzielle Bürde dar. Die Wasserkraftbetreiber in Deutschland sind sich ihrer Verantwortung für einen guten ökologischen Zustand der Gewässer bewusst und haben bereits beträchtliche Mittel in entsprechende Maßnahmen investiert. Die Umsetzung der technisch möglichen und geforderten ökologischen Maßnahmen ist aber häufig so aufwendig, dass sie die Wirtschaftlichkeit vieler Anlagen gefährdet oder gänzlich untergräbt. Insbesondere kleinere Anlagen scheiden deshalb zunehmend aus dem Markt aus. Den ökologischen Zustand der Gewässer zu verbessern, ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sollte die Bundesregierung ein mit Landesprogrammen kombinierbares, langjähriges Bundesförderprogramm einrichten, um ökologische Modernisierungen finanziell zu unterstützen. Denn die ökologisch modernisierten Kraftwerke leisten positive Beiträge für die Gewässerökologie und den Klimaschutz, sind flussauf- und -abwärts für Fische und andere Wasserorganismen durchgängig und produzieren CO2-freien Strom. Sie fördern den Rückhalt von Wasser und Böden in der Landschaft und stabilisieren den Grundwasserstand. Auch sind Wasserkraftwerke vielerorts bereits seit Generationen in Betrieb und somit fester Bestandteil der heutigen, zivilisationsgeprägten Landschaft.
Trotzdem werden nur wenige der bestehenden Querbauwerke für die zusätzliche Errichtung eines Wasserkraftwerks freigegeben. Dabei müssen laut EU-Wasserrahmenrichtlinie möglichst alle Querbauwerke an Fließgewässern durchgängig sein, um einen guten ökologischen Zustand zu erreichen. In den meisten Fällen sind die Kommunen für derartige Maßnahmen verantwortlich, können dem aber aus finanziellen Gründen nicht immer nachkommen. Beim Bau einer Wasserkraftanlage hingegen ist der Anlagenbetreiber in der Pflicht, geeignete Fischauf- und -abstiegsanlagen zu errichten – eine echte Win-win-Situation für Gewässer- und Klimaschutz, Bürger und Kommunen. Hier wären mehr Mut, Innovationsfreude und schnelle Genehmigungsverfahren vonseiten der Behörden sehr hilfreich.

Bedeutender Baustein

Kleine Wasserkraftwerke sind fast immer dezentral verteilt und könnten in die Energieversorgung vor Ort gut eingebunden werden. Tatsächlich verhindert das aktuelle Umlagen- und Abgabensystem in Deutschland unter anderem eine verbrauchsnahe Eigen- und Direktversorgung mit erneuerbaren Energien. Eine Änderung dieses Systems würde auch anderen erneuerbaren Energien sehr helfen. Ihre Qualitäten machen die Kleinwasserkraft zu einem bedeutenden Baustein des bisherigen und künftigen Energiesystems. Die Politik sollte diese positiven Eigenschaften honorieren.

Hans-Peter Lang

Lang, Hans-Peter
Hans-Peter Lang ist Präsident des Bundesverbands Deutscher Wasserkraftwerke und Vizepräsident des Bundesverbands Erneuerbare Energie. 1992 hat er nach Beendigung seines Jurastudiums und Referendariats in Bayreuth und Regensburg die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erhalten.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli/August von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.  (Deep Link)

Stichwörter: Wasserkraft, Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke

Bildquelle: hdg033/Fotolia.com

Druckversion    PDF     Link mailen


Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich Wasserkraft

Wasserkraft: Unterschätzte Wärmequelle Bericht
[25.3.2024] Die flächendeckend in Deutschland zur Verfügung stehenden Fließgewässer bergen ein bislang wenig beachtetes Potenzial für die grüne Wärmegewinnung. Durch kombinierte Wasser-Wärme-Kraftwerke ergäben sich vollkommen neue Nutzungsperspektiven für die Wasserkraft. mehr...
Durch kombinierte Wasser-Wärme-Kraftwerke ergeben sich vollkommen neue Nutzungsperspektiven für die Wasserkraft.
Studie: Wasserkraft als Gamechanger
[25.3.2024] Die Energy Watch Group stellt eine Studie vor, die Wasserkraftwerke als zentrale Kraft im Kampf gegen den Klimawandel sieht. Das Potenzial zur Energieerzeugung liegt bei über sieben Gigawatt. mehr...
Die Modernisierung und Reaktivierung von Wasserkraftwerken könnte eine zusätzliche Leistung von 7,1 Gigawatt bereitstellen.
Pumpspeicher: Starkes Leistungsplus aus Forbach Bericht
[7.11.2023] Seit über 100 Jahren erzeugt das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach mit Wasserkraft Energie. Nun wird der Standort zum leistungsstarken Pumpspeicherkraftwerk ausgebaut. Da Technik und Speicher in Kavernen verlagert werden, sind die Auswirkungen auf die Umgebung gering. mehr...
Die bestehende Schwarzenbachtalsperre wird um eine unterirdische Kaverne ergänzt.
Bayern: Wasserkraft mit viel Potenzial
[19.10.2023] Unterschätzte Potenziale der Wasserkraft wurden auf dem diesjährigen Seminar der beiden bayerischen Fachverbände aufgespürt. mehr...
Referenten und Verbandsvertreter der Wasserkraft auf dem Wasserkraftseminar 2023 an der TUM Straubing.
Anwenderforum Kleinwasserkrafte: Praxisorientierter Austausch
[5.9.2023] Beim diesjährigen Anwenderforum Kleinwasserkraft stehen unter anderem die Themen Cyber-Sicherheit, Planung und Finanzierung von Kleinwasserkraftwerken im Mittelpunkt. Die Veranstaltung findet am 28. und 29. September in Rosenheim statt. mehr...
Das 26. Internationale Anwenderforum Kleinwasserkraft findet vom 28. bis 29. September 2023 an der Technischen Hochschule Rosenheim statt.

Suchen...

 Anzeige

 Anzeige



Aboverwaltung


Abbonement kuendigen

Abbonement kuendigen
VIVAVIS AG
76275 Ettlingen
VIVAVIS AG
GIS Consult GmbH
45721 Haltern am See
GIS Consult GmbH
rku.it GmbH
44629 Herne
rku.it GmbH
A/V/E GmbH
06112 Halle (Saale)
A/V/E GmbH

Aktuelle Meldungen