[13.8.2021] Wasserkraftwerke können eine Störung hinsichtlich der Momentanreserve ausgleichen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Rhein-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW), der Initiative „Wasserkraft Ja bitte!“ im Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) sowie der Interessengemeinschaft Wassernutzung NRW.
Eine Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen hat ergeben, dass die Wasserkraftwerke in Deutschland eine Störung, etwa durch einen ungeplanten Kraftwerkausfall von bis zu 500 Megawatt (MW), hinsichtlich der Momentanreserve ausgleichen können. Wie der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) mitteilt, ist dieser Ausgleich umso wichtiger, da im kommenden Jahr die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen werden, womit dem Stromversorgungssystem auch Momentanreserven wegfallen. Diese Systemdienstleistung sichere – neben der Regelleistung – die Stabilität der Netze im Fall von Störungen. Indem Wasserkraftanlagen diese Funktion übernehmen können, leisten sie einen relevanten Beitrag zur künftigen Netzstabilität.
BDW erklärt, dass als Momentanreserve die unverzögert verfügbare Leistungsreserve in einem Energieübertragungssystem bezeichnet werde. Sie entstehe aus der Trägheit der rotierenden Schwungmassen der Synchrongeneratoren konventioneller Kraftwerke. Komme es in einem Stromnetz zu einem abrupten Lastwechsel, könne das Leistungsdefizit nicht unmittelbar durch Regelkraftwerksleistung ausgeglichen werden. Denn diese sei immer mit einer gewissen Verzögerungszeit verbunden. Daher müsse, um Instabilitäten und Unterbrechungen zu verhindern, unmittelbar nach dem Störungsfall genügend kinetische Energie aus dem rotierenden Schwungmassen von Kraftwerken im Versorgungssystem vorhanden sein.
Wasserkraftanlagen als Ausgleich zu volatilen Energieerzeugern
Nach dem Aspekt der Erzeugungsmengen gelten Windenergie- und Photovoltaikanlagen als Hauptsäulen der künftigen regenerativen Energieproduktion. Diese üblicherweise leistungselektronisch angebundenen Anlagen liefern jedoch nach derzeitigem Stand der Technik noch keine Momentanreserve. Wasserkraftwerke hingegen seien dazu in der Lage.
Ein Team von Professor Albert Moser, Lehrstuhlinhaber Übertragungsnetze und Energiewirtschaft am Institut für elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft (IAEW) an der RWTH Aachen, habe nun die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen in Deutschland ermittelt und quantifiziert. Die Berechnungen basieren auf 7.988 Wasserkraftanlagen mit insgesamt 6,28 Gigawatt Nettonennleistung, die im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur erfasst seien. Die Wissenschaftler ermittelten unter anderem die gespeicherte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen, die sich aus der Trägheitskonstante und der Nennleistung der Generatoren bestimmen lasse.
Den Berechnungen zufolge sei eine kinetische Energie von rund 10,32 Gigawattsekunden (GWs) in den rotierenden Massen der Wasserkraftanlagen in Deutschland gespeichert. Zum Vergleich: Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler Block H weise eine kinetische Energie von 2,4 GWs auf, das Kernkraftwerk Isar/Ohu 2 kommt auf 8,88 GWs. Die bereitgestellte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen entspreche damit der Momentanreserve eines Kernkraftwerks.
Die Studie wurde federführend von Martin Knechtges und Stefanie Samaan geleitet. Sie zeige weiterhin, dass ein Störereignis von 462,5 MW unter Berücksichtigung der Frequenzabhängigkeit der Netzlasten allein durch die Wasserkraftanlagen hinsichtlich der Momentanreserve aufgefangen werden könne. Ihre vorgehaltene Momentanreserve reiche aus, um die daraus resultierende Frequenzänderungsrate und –abweichung ausreichend zu begrenzen. „Die deutschen Wasserkraftwerke tragen in dieser Höhe auch zur Beherrschung von größeren Leistungsdefiziten, zum Beispiel Netzauftrennungen, bei. Weitere Beiträge zur Beherrschung müssen dann aus anderen Anlagen noch bereitgestellt werden.“, fasst Martin Knechtges, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAEW, zusammen.
Wasserkraftanlagen stabilisieren bayerische Stromnetze
Darüber hinaus weisen die Forscher insbesondere für Bayern darauf hin, dass in Bezug auf zukünftige Netzstrukturen und die autarke Versorgung kleiner zellularer Netze die dezentral vorhandenen Wasserkraftwerke zu einem stabilen Netzbetrieb beitragen können.
„Die Studie zeigt einmal mehr, dass Wasserkraftanlagen gerade vor dem Hintergrund der Abschaltung der Kernkraftwerke 2022 und anschließend der Kohlekraftwerke wichtige Systemdienstleistungen zur Netzstabilisierung erfüllen. Neben der Momentanreserve ist diesbezüglich beispielsweise auch die Schwarzstartfähigkeit zu nennen“, kommentiert Fritz Schweiger, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern (VWB). Das heiße, nach einem großflächigen Stromausfall ist die Wasserkraft technisch in der Lage, den Wiederaufbau der Stromversorgung zu unterstützen.
„Die Studie zeigt aber auch auf, dass die bestehende Wasserkraft allein nicht die notwendige Momentanreserve im Stromversorgungssystem bereitstellen kann. Mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus Wasserkraft hätte man schon heute einen effizienten Lösungsbaustein dafür. Allerdings müssen auch die anderen erneuerbaren Energieträger künftig ihren Beitrag leisten. Jetzt sind die Ingenieure gefragt, wie dies mit moderner Leistungselektronik sichergestellt werden kann“, bemerkt Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW).
Die Studie „Ermittlung der Momentanreserve von Wasserkraftanlagen in Deutschland“ am Institut für Elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft an der RWTH Aachen wurde im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Wasserkraftwerke (BDW), der Initiative „Wasserkraft Ja bitte!“ im Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) sowie der Interessengemeinschaft Wassernutzung NRW durchgeführt.
(th)
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Bildquelle: VBEW