[27.9.2021] Am Unteren Lech wurden vier Laufwasserkraftwerke mit einem Hochleistungsbatteriespeicher vernetzt. Das Hybridsystem liefert nicht nur klimafreundliche Primärregelenergie, es minimiert auch den Verschleiß an der Turbinentechnik.
Von null auf drei Megawatt (MW) in weniger als 30 Sekunden: Als das europäische Stromverbundnetz am 8. Januar 2021 kurz vor einem großflächigen Blackout stand, musste das neue Wasserkraft-Batteriespeicher-Hybridsystem von LEW Wasserkraft am Unteren Lech in Bayern seine volle Leistungsfähigkeit beweisen. Vier Laufwasserkraftwerke hat der Kraftwerksbetreiber dort mit einem Hochleistungsbatteriespeicher vernetzt. Diese können auf Abruf bis zu vier Megawatt Primärregelenergie liefern. Wie vorgesehen konnte der Verbund die dem Übertragungsnetzbetreiber vorab zugesicherte Primärregelleistung in vollem Umfang liefern. Darüber hinaus minimiert das Hybridsystem den Verschleiß an der Turbinentechnik und die Auswirkungen auf das Flusssystem.
Dreh- und Angelpunkt des Hybridkraftwerks ist sein Lithium-Ionen-Batteriespeicher. Das Hochleistungssystem mit einer Speicherkapazität von mehr als 1.600 Kilowattstunden hat LEW Wasserkraft, eine Tochtergesellschaft der Lechwerke aus Augsburg, auf dem Gelände des Laufwasserkraftwerks in Rain am Lech installiert und mit dem Wasserkraftwerk gekoppelt (
wir berichteten). Über diese Anbindung wird die Batterie mit dem Strom aus den Wasserkraftturbinen gespeist. In das Speichersystem integriert sind eine Messeinrichtung zur kontinuierlichen Bestimmung der aktuellen Netzfrequenz des Übertragungsnetzes sowie ein spezielles Energie-Management-System. Dieses steuert nicht nur die Bereitstellung von Regelenergie durch das Speichersystem, sondern kann über eine Datenverbindung zur Steuerung des Wasserkraftwerks auch dessen Stromproduktion an den jeweils aktuellen Bedarf anpassen.
Schnelle und flexible Reaktion auf Abweichungen
Das Hybridkraftwerk kann jederzeit schnell und flexibel auf die regelmäßig auftretenden Abweichungen vom Sollwert der Netzfrequenz von 50 Hertz (Hz) reagieren. Meldet der Frequenzmesser eine entsprechende Abweichung, startet das Energie-Management-System augenblicklich die Primärregelung und aktiviert die Leistung des Hybridkraftwerks proportional zu den Abweichungen der Netzfrequenz. Wird mehr Strom benötigt, wird Energie aus der Batterie eingespeist. Muss das Netz schnell entlastet werden, nimmt die Batterie Strom auf. Erst wenn Batteriekapazität und -leistung nicht ausreichen, um die aus dem Hybridkraftwerk vermarktete Regelleistung abzudecken, wird die Leistung der Wasserkraftturbinen angepasst.
Seit Anfang vergangenen Jahres stellt der Verbund aus Batteriespeicher und Wasserkraftwerk in Rain am Lech Primärregelenergie bereit. Nach und nach hat LEW die schwäbischen Laufwasserkraftwerke in Ellgau, Oberpeiching und Feldheim in das Hybridsystem integriert. Seit März 2021 sind nun alle Kraftwerke am Unteren Lech über Datenanbindungen an das Energie-Management-System des Hybridkraftwerks gekoppelt. Als Primärregelenergie vermarktet wird von LEW derzeit eine Gesamtleistung von bis zu vier MW. Der Batteriespeicher allein kann unter Berücksichtigung einer entsprechenden Pufferkapazität mindestens ein MW Leistung übernehmen. Jedes angebundene Kraftwerk stellt ein weiteres Megawatt zur Verfügung, wobei jeweils nur drei der vier Kraftwerke gleichzeitig an der Bereitstellung von Regelleistung beteiligt werden. Die Regelleistung des Hybridkraftwerks vermarkten die Lechwerke als präqualifizierter Regelleistungsanbieter zusammen mit Erzeugern, Verbrauchern und Speichern unter anderem von Stadtwerken und Industriekunden. Damit nimmt LEW regelmäßig an den Ausschreibungen der deutschen Übertragungsnetzbetreiber teil und stellt sowohl positive als auch negative Regelenergie bereit.
Beitrag zur Sicherung der Stromversorgung
Technisch ist jedes Laufwasserkraftwerk in der Lage, Schwankungen im Stromangebot des Netzes auszugleichen. Durch das Verändern des Turbinendurchflusses lässt sich die Stromerzeugung jederzeit kurzfristig verringern oder erhöhen. Dank dieser Flexibilität leisten die von LEW Wasserkraft betriebenen Anlagen seit Jahren einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Stromversorgung im Bereich der Sekundärregelung und der Tertiärregelung (Minutenreserve). Bei der Sekundärregelung wird die Leistung innerhalb von fünf Minuten so angepasst, dass das Kraftwerk je nach Zustand des Netzes mehr oder weniger Strom einspeist. Bei der Tertiärregelung geschieht dies binnen 15 Minuten.
Deutlich schnellere Reaktionen erfordert die Primärregelung. Hier muss das Kraftwerk oder der Kraftwerksverbund innerhalb von 30 Sekunden auf Netzschwankungen reagieren – und das variabel in sehr kurzen Zeitabständen. Wollte man dies ausschließlich mit den technischen Möglichkeiten eines klassisch gesteuerten Wasserkraftwerks erreichen, müsste die Leistung des Kraftwerks immer wieder und schnell angepasst werden – entsprechend hoch wäre der Verschleiß der Mechanik an den Turbinen. Anders funktioniert das Hybridkonzept der Lechwerke. Denn der überwiegende Anteil der Primärregelleistung wird allein durch den Batteriespeicher erbracht. Eingriffe in die Turbinensteuerung und der damit verbundene Verschleiß der mechanischen Kraftwerkskomponenten werden weitgehend vermieden. Wegweisend ist das vor allem bei den häufig nötigen kleineren Frequenzanpassungen. Ohne Batteriespeicher wären für den Primärregelbeitrag der Kraftwerke am Unteren Lech jährlich etwa drei Millionen Stellbefehle erforderlich. Im Hybridsystem sind pro Jahr nur noch wenige tausend Eingriffe in die Turbinensteuerung nötig.
Hohe Ausfallsicherheit
Ein bedeutender Mehrwert des Hybridkonzepts ist seine hohe Ausfallsicherheit. Selbst bei einem Komplettausfall des Batteriespeichers oder einer Unterbrechung der Datenkommunikation zwischen den vier Kraftwerksstandorten ist die Bereitstellung der Regelenergie gewährleistet. Dafür haben die LEW-Experten jedes der vier Wasserkraftwerke unter anderem mit einem separaten Frequenzmesssystem am Netzzugang ausgestattet. Sollte das gemeinsame Energie-Management-System nicht sofort auf eine Frequenzabweichung im Stromnetz reagieren, springen die Wasserkraftwerke ein und nehmen die erforderlichen Anpassungen ihrer Kraftwerksleistung eigenständig vor. Das Zusammenspiel sämtlicher Komponenten des Hybridsystems haben die Fachleute im Vorfeld ausgiebig getestet und im Rahmen einer Präqualifizierung zertifiziert.
Mit einer Gesamtleistung von mehr als 40 MW sind die vier Wasserkraftwerke am Unteren Lech ein wichtiger Baustein für die Energiewende in der Region. Zusammen liefern sie jedes Jahr mehr als 220 Millionen Kilowattstunden Strom. Zusätzlich tragen sie nun mit Primärregelleistung dazu bei, die Stabilität der Stromnetze zukunftssicher zu gewährleisten. Dabei konnte der Verschleiß an den Turbinen durch die Kopplung mit der Batterie erfolgreich reduziert werden, sodass keine Mehrkosten durch zusätzliche Revisionen und Instandsetzungsmaßnahmen zu erwarten sind. Der neuartige Anlagenverbund hat die Erwartungen voll erfüllt, sodass LEW Wasserkraft bereits an einer Machbarkeitsstudie für den Aufbau eines weiteren Hybridsystems arbeitet.
Christian Moser
Der Autor, Christian Moser
Christian Moser leitet bei der LEW Wasserkraft GmbH seit 2011 die Engineering-Abteilung für Maschinenbau und Elektrotechnik. In dieser Funktion verantwortet er größere Instandhaltungs- und Modernisierungsprojekte an den eigenen und betriebsgeführten Wasserkraftwerken von der Ausschreibung bis hin zur finalen Inbetriebnahme.
https://wasserkraft.lew.deDieser Beitrag ist im Titel der Ausgabe September/Oktober 2021 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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Bildquelle: EW/Thorsten Franzisi