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Freitag, 29. März 2024

Künstliche Intelligenz:
Mit Standardprozessen effizienter automatisieren


[11.6.2020] Digitalisierung, dezentrale Stromerzeuger und die Marktliberalisierung führen bei den Energieversorgern zu teils erheblichen Gewinneinbußen. Sie können gegensteuern, indem sie Prozesse automatisieren und kundenfreundlichere Geschäftsmodelle etablieren. Eine entscheidende Rolle kommt dabei künstlicher Intelligenz zu.

Künstliche Intelligenz soll Energieversorger wettbewerbsfähiger machen können. In der Vergangenheit hatten Energieversorger eine Monopolstellung inne und konnten sich ihrer Umsätze und Gewinne ziemlich sicher sein. Auch nach der Liberalisierung der Energiemärkte konnten viele der alteingesessenen Energieunternehmen ihre Position behaupten, durchbrach doch kaum ein Newcomer die gewachsenen Strukturen. Das hat sich aufgrund der Digitalisierung und dem damit verbundenen, geänderten Kundenverhalten in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Neue Akteure drängen auf den Markt. Die Kunden, sowohl gewerbliche als auch private, wandern ab zu einem anderen Energielieferanten, wenn sie sich dadurch Vorteile versprechen. Vergleichsportale wie Check24 oder Verivox verstärken die Wechselwilligkeit weiter. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft haben mehr als 35 Prozent der Kunden seit der Liberalisierung 2007 ihren Gaslieferanten gewechselt. Im Strommarkt ist ein Lieferantenwechsel seit 1998 möglich – nur rund 55 Prozent der Privathaushalte sind bislang ihrem Stromversorger treu geblieben.

Längerfristige Energiebilanzen besser planen

Wenn Kunden abwandern, führt dies in der Regel zu Gewinnverlusten, denen die Unternehmen nur mit nachhaltigen Kostensenkungen begegnen können. Zudem sollten sie Maßnahmen ergreifen, um die Kunden zu halten oder zurückzugewinnen. Ohne ein flexibleres, verbraucherfreundliches und dank Automatisierung kostengünstigeres Energiesystem, das an die einzelnen Kundenwünsche angepasst ist, wird es in Zukunft kaum gehen. Und das alles gelingt mithilfe künstlicher Intelligenz (KI).
Energieunternehmen verfügen – zum Beispiel durch Smart Metering – über eine gewaltige Datenbasis, etwa zu kundenabhängigen Energieverbräuchen, die sich zudem hinsichtlich der Art ihrer Erzeugung spezifizieren lassen. Nur mit KI, in Form von Data Analytics, lassen sich diese riesigen Datenmengen analysieren und zudem mit Informationen externer Quellen verknüpfen, beispielsweise mit Wetter- oder Geodaten. KI erkennt Zusammenhänge, die weit über uhrzeitabhängige Lastprofile hinausgehen. Sie kann beispielsweise die lokale Wetterlage mit dem Anteil an Solarenergie korrelieren und dabei unterscheiden, ob die Einspeisung durch professionelle Erzeuger oder private Photovoltaikanlagenbetreiber erfolgt. Dieses Wissen hilft dem Unternehmen, die längerfristigen Energiebilanzen besser zu planen und Über- oder Unterkapazitäten zu reduzieren.

Datenbasierte Voraussagen

Durch den zusätzlichen Einsatz von Predictive Tools lässt sich noch mehr erreichen: Das intelligente System trifft datenbasierte Voraussagen für künftige Entwicklungen und berücksichtigt dabei alle ihm zugänglichen Informationen. Um beim Beispiel zu bleiben: Aufgrund meteorologischer Daten weiß die KI, dass sich eine bestimmte Wetterlage einstellen wird. Gleichzeitig hat sie gelernt, wie hoch der Energiebedarf und die Einspeisung unter diesen Umständen sind und berücksichtigt bei ihrer Vorhersage auch, dass sich beispielsweise ein Industrie­verbraucher aufgrund von Feiertagen etwas anders verhält als sonst. Diese Prognose mündet in einer Handlungsempfehlung, etwa, wie Turbinen optimal zu steuern sind.

Ein echtes Dilemma

Aufgrund der in der Regel höheren Marge haben Stadtwerke ein größeres Interesse daran, Kunden in der Grundversorgung zu halten, als ihnen Sondertarife anzubieten. Für ihre kommunalen Gesellschafter ist dieser Punkt noch wichtiger, denn die Konzessionsabgabe, die ihnen zusteht, ist bei der Grundversorgung neunmal höher als bei Sondertarifen. Gleichzeitig ist es für Energiekunden im Bereich der Grundversorgung besonders einfach – innerhalb von nur zehn Werktagen –, den Anbieter zu wechseln. Denn in der Grundversorgung kommt das Vertragsverhältnis auf Grundlage der Energieentnahme zustande, Nebenabreden, wie Mindestlaufzeiten und Kündigungsfristen, gibt es nicht. Und die Konkurrenz lockt mit attraktiven Preisnachlässen. Die Stadtwerke sind in einem echten Dilemma: Geben sie dem Wunsch der Gesellschafter nach maximaler Ausschüttung nach, steigt das Risiko, Kunden zu verlieren. Andererseits verzichten sie vielleicht völlig unnötigerweise auf Umsatz.

Wackelkandidaten im Vorfeld identifizieren

Ein möglicher Ausweg ist das Churn Management. Es geht darum, Wackelkandidaten im Vorfeld zu identifizieren. Damit gewinnt der Versorger die Zeit, auf diese Kunden gezielt zuzugehen und eine Alternative anzubieten, bevor diese sich selbst ernsthaft mit einem Lieferantenwechsel auseinandersetzen. Die Kündigungswahrscheinlichkeiten lassen sich mittels Predictive Analytics und Machine Learning aus den in der Regel gut gepflegten Kundendaten der Stadtwerke ermitteln – ein Mensch wäre damit überfordert. Auf Basis der Daten des Abrechnungssystems und weiterer Quellen lassen sich Machine-Learning-Modelle erstellen und trainieren: Das System lernt, welche Gemeinsamkeiten die Daten der Kunden aufweisen, die gekündigt haben und erkennt diese Muster bei der Bestandskundenanalyse wieder. Es ist empfehlenswert, parallel zur Einführung von Churn Management ein Kundenwertmodell zu entwickeln. Gemeinsam geben Kündigungswahrscheinlichkeit und Kundenwert an, welche potenziellen Wechselkunden die höchste Priorität genießen sollten und in welcher Reihenfolge Maßnahmen zur Kundenbindung durchzuführen sind.

Robotic Process Automation

Häufig gestellte Fragen, etwa im Blog des Energieunternehmens, können durch Chatbots automatisiert beantwortet werden. Das entlastet die Kundenberater. Dabei handelt es sich um ein textbasiertes, technisches Dialogsystem, welches das Chatten erlaubt. Chatbots mit einem höheren Reifegrad nutzen Machine Learning und Deep Learning. Im Gegensatz zum regelbasierten Chatbot, haben diese ein Kontextgedächtnis im Gesprächsverlauf und können dem Nutzer daher intelligente Dialoge bieten. Solche Systeme bezeichnet man als virtuelle persönliche Assistenten, die auf Anfrage auch Standardinformationen zum Unternehmen und zu Produkten liefern.
Mittels Robotic Process Automation (RPA) lassen sich die bisherigen menschlichen Interaktionen zwischen verschiedenen IT-Systemen als Arbeitsschritte vollautomatisieren. Ein Beispiel dafür ist die Multi-Tenant-Plattform Janus. Diese moderne RPA-Plattform nutzt proaktive Prognosen für Software-Roboter, um die zugewiesenen und projektierten Ressourcen immer auf einem optimalen Niveau einzusetzen. Janus vereint in sich Roboter-Software und künstliche Intelligenz. So kann besser mit Schwankungen bei den Massenprozessen in der Energiewirtschaft umgegangen werden, wenn beispielsweise unerwartet viele Anfragen zu bearbeiten sind, etwa bei der Verarbeitung von Zählerständen, bei Tarifänderungen und beim Lieferantenwechsel. Durch Monitoring, Simulation und Prozessversionierung sind eine Bewertung von Engpässen, Performance-Verbesserungen und Anpassungen einfach umzusetzen.

Produktivitätssteigerung durch smarte Helfer

Um in Zeiten von Energiewende, Marktliberalisierung und digitalem Wandel zu bestehen, müssen sich die Energieunternehmen zu agilen Dienstleistern entwickeln, die mit den technologischen Möglichkeiten von Digitalisierung sowie künstlicher Intelligenz die Prozessautomatisierung vorantreiben und sich strikt an den Kundenbedürfnissen ausrichten. Der Branche ist das bewusst, wie die jüngste Umfrage der Deutschen Energie-Agentur (dena) zur künstlichen Intelligenz in der Energiewirtschaft unter 250 Verantwortlichen für Digitalisierung und Technologie im Energiesektor zeigt: Demnach erwarten drei von vier Befragten eine positive Auswirkung von KI auf die Energiewende. Insbesondere große Unternehmen rechnen zudem mit einer Produktivitätssteigerung durch die smarten Helfer. Die Schwerpunkte für KI-Anwendungen sieht man in der Smart City und der Steuerung von Energieverbrauchern.

André Wilsdorf

Wilsdorf, André
André Wilsdorf ist Management Consultant bei Arvato Systems und berät seit Januar 2018 Utilities-Unternehmen zum Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wilsdorf ist seit 2003 in der Energiewirtschaft aktiv und war in den Bereichen Privat-, Gewerbe- und Geschäftskundenvertrieb, Abrechnung, Projekt-Management und IT-Anforderungsmanagement tätig.

https://www.arvato-systems.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Mai/Juni 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Informationstechnik, Arvato Systems, Künstliche Intelligenz, Churn Management, Deutschen Energie-Agentur (dena)

Bildquelle: Sergey Nivens/stock.adobe.com

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