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Interview:
Vom Tool zum Pool


[21.6.2019] Energiehandel und -vertrieb werden immer mehr über digitale Plattformen abgewickelt. Welche Auswirkungen dies für Händler und Kunden hat, darüber sprach stadt+werk mit Helmut Kusterer, Leiter Vertrieb Dienstleistungen bei der GasVersorgung Süddeutschland.

Helmut Kusterer: „Der Energiehandel wird nicht komplett automatisiert ablaufen.” Herr Kusterer, die Energiewirtschaft befindet sich im Umbruch. Wie verändern die Energiewende und der digitale Wandel aus Ihrer Sicht die Beschaffungs- und Verkaufsprozesse von Energieversorgern?

Der digitale Wandel betrifft alle Prozesse eines Energieversorgers. Auch wir im B2B-Geschäft mussten uns schon frühzeitig über unsere Prozesskosten Gedanken machen. Denn eine Folge der Digitalisierung ist, dass die Geschäfte kleiner und die Anzahl der Transaktionen größer werden. Das bedeutet: Die kleinteiligen Geschäftsvorgänge können nicht mehr – wie früher –durch persönliche Kontakte betreut werden.

Welche Folgen hat das?

Schon vor über zehn Jahren wurden neue Regeln für den Energiehandel definiert, um einen liquiden Markt zu schaffen. Es entstanden Marktplätze mit IT-gestützten Prozessen und einer Vergleichbarkeit der Preise. Durch diese Amazonisierung wurden Beziehungsgeflechte mit den Kunden teilweise entwertet. Der ehemals für das Geschäft wichtige gute Kontakt mit dem Geschäftsführer des Kunden verlor an Bedeutung, denn kleinteilige Geschäfte werden nicht mehr auf Geschäftsführerebene getätigt. Das ist blankes operatives Geschäft und wird auf die Arbeitsebene delegiert.

Wer profitiert von dieser Amazonisierung?

Auf Marktplätzen mit transparenten Preisen haben die Händler keine Vorteile mehr, etwa durch einen Informationsvorsprung. Zudem hat sich der Energiemarkt von der Finanzkrise 2008 nicht erholt. Wir haben weltweit immer noch ein üppiges Angebot an Energie, im Gasbereich beispielsweise durch flüssiges Erdgas aus Australien und Schiefergas aus den USA. Dadurch hat sich der Markt vom Verkäufer- zum Käufermarkt entwickelt, was temporäre Vorteile für Kunden wie die Stadtwerke hat.

Auch die GVS setzt auf digitale Angebote. Wie hat sich der Energie-Marktplatz E-Point seit dem Start vor über zwei Jahren entwickelt?

Im Juli 2016 gab unser Aufsichtsrat grünes Licht für die Entwicklung von E-Point. Erste Roadshows starteten im Herbst, dort haben wir die Plattform vorgestellt, Vertrauen eingeworben und die Kunden auch an der Entwicklung beteiligt. Die ersten Produkte haben wir dann im Februar 2017 auf der Messe E-world mit einem Blick in die Werkstatt vorgestellt. Es waren zwei Bausteine: BIKpool, eine Bilanzkreiskooperation im Gasbereich, und die Click Services. Das sind Lösungen, mit denen die Kunden alle Möglichkeiten erhalten, ihr Portfolio einzudecken. Dass wir hier richtig liegen, zeigte das Interesse auf der E-world in diesem Jahr. Übrigens waren Tender365 und der Handelsschirm die meist gefragten Produkte auf der Messe. An diesem digitalen Marktplatz für Energieprodukte und außerbörslichen Handel ist GVS noch mit 25 Prozent beteiligt.

„Beim Pool geht es darum, eine Community zu schaffen.”

Wie sieht das Angebot auf E-Point derzeit aus?

Die Tools, das sind Lösungen wie Markt Direkt, ein Handelsschirm für Gas und Strom mit Preisen in Echtzeit, Gas2Go, unsere Online-Lösung für die Beschaffung von Fahrplänen für die Erdgasbelieferung, oder die Zielpreisbeschaffung von Erdgas für die Kunden. Ganz neu ist das GVS FLEXtool, denn die Entwicklung geht vom Tool zum Pool. Damit können Netzbetreiber die flexiblen und beeinflussbaren Leistungen bündeln und so die Kosten von Ausgleichsenergie senken. Beim Pool geht es darum, eine Community zu schaffen, um etwas zu teilen und Geld zu sparen.

Wie funktioniert das konkret?

BIKpool ist inzwischen einer der größten Rechnungsbilanzkreise in Deutschland. Kleine Fehler in der Prognose verursachen teilweise hohe Kosten für die Bilanzkreise. BIKpool minimiert diese Risiken und senkt damit die Ausgaben. Was jeder Teilnehmer für sich beim Marktgebietsverantwortlichen angeben müsste, wird in den Pool geworfen. Dadurch entstehen Portfolioeffekte, also Einsparungen bei allen Beteiligten. SPOTpool bietet einen einfachen digitalen Zugang zum Spotmarkt Strom über einen standardisierten automatischen Workflow. Im Pool werden Differenzen in den Positionen der Teilnehmer ausgeglichen. Nur was übrig bleibt, wird an der Börse EPEX Spot gekauft. Dadurch sinken die Börsenkosten signifikant. Diese Einsparungen werden wie im BIKpool verursachergerecht unter den Pool-Teilnehmern aufgeteilt.

Sie bieten E-Point-Lösungen auch als White-Label-Produkt an. Welche Vorteile hat dies für ein Stadtwerk?

Wenn man eine gute Kalkulationsbasis für die Energiebeschaffung haben möchte, muss man viel Geld für Markt- und Preisinformationen ausgeben. Wir haben diese Informationen und stellen sie den Kunden in Tools zur Verfügung. Sowohl Gas2Go als auch Power2Go für Strom bieten wir als White-Label-Lösung an. Ein Stadtwerk kann nun seinen Kunden beispielsweise ein Realtime-Pricing bieten und eigene Margen, Risikozuschläge und Netzentgelte hinzufügen, die im Übrigen nur das jeweilige Stadtwerk sieht. Die Vertriebsmitarbeiter müssen also nicht mehr zum Kunden fahren, weil alles online abgefragt werden kann.

Geht im digitalen Vertrieb nicht das Vertrauen verloren?

Nein. Vertrauen spielt weiterhin eine Schlüsselrolle. Auf einem digitalen Handelsschirm sieht der Kunde die Produkte und Preise, er kann etwas kaufen oder auch verkaufen. Die Frage ist nun, wie gut sind die Preise auf einem bilateralen Schirm? Das ist eine Frage des Vertrauens. Wir bieten deshalb als vertrauensbildende Maßnahme Informationen über alle Geschäfte an, die auf der Plattform gemacht wurden. Zudem gilt: Digitale Produkte verkaufen sich nicht von alleine. Sie müssen mit viel persönlichem Einsatz vertrieben werden, bis eine kritische Masse erreicht ist und Netzwerkeffekte entstehen. Denn klar ist: Der Nutzen von Netzwerken oder digitalen Plattformen wächst exponentiell mit der Anzahl der Kunden.

Welche weiteren Angebote haben Sie in der Pipeline, kommt jetzt der algorithmische Handel?

Ich glaube nicht, dass der Energiehandel künftig komplett automatisiert abläuft. Aber einige Bereiche des Geschäfts werden durch Algorithmen bestimmt werden. Bei Tranchenmodellen werden wir Algo-Unterstützung anbieten. Momentan arbeiten wir an der Schaffung von Schnittstellen. Die Geschäfte existieren ja als Datenpakete, wenn man sie direkt in das Kundensystem bringt, werden Medienbrüche und Fehler vermieden. Das bedeutet, dass die Prozesskosten sinken und die Prozesssicherheit erhöht wird. Wir werden auch Schnittstellen zwischen E-Point und der Plattform Tender365 anbieten. So können zum Beispiel offene Positionen per Mausklick von E-Point auf Tender geschoben werden.

Wie wird sich der Energiehandel weiter entwickeln?

Worüber wir uns im Vertrieb im B2B-Bereich Gedanken machen müssen ist, dass viele neue Player aus anderen Branchen in den Markt gehen. Große Heizölhändler bieten inzwischen auch Strom und Gas an, Wohnungsbaugesellschaften gründen eigene Versorgungsunternehmen, auch die Deutsche Bahn oder die Telekom verkaufen Strom. Hinzu kommt, dass Anlagenhersteller wie 2G Energy und Hanwha Q CELLS oder auch Shell in den Energievertrieb einsteigen. Das sind Dimensionen, die wir nicht unterschätzen sollten. Das sind wirtschaftlich starke Unternehmen, die die Kraft haben, Produkte nachdrücklich in den Markt zu bringen. Diese Entwicklung wird die Energiewelt signifikant verändern.

Interview: Alexander Schaeff

Kusterer, Helmut
Helmut Kusterer, Jahrgang 1953, war bis April 2019 Leiter Vertrieb Dienstleistungen bei der GVS GasVersorgung Süddeutschland und ist weiterhin Geschäftsführer der Tender365 GmbH. Kusterer war Triebfeder für die Digitalisierung des GVS-Geschäfts. Er entwickelte und vermarktete den Energie-Marktplatz E-Point und gründete die OTC-Plattform Tender36.

https://www.gvs-erdgas.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Mai/Juni 2019 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Erdgas, Stromhandel



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