Freitag, 26. April 2024

Wasserkraft:
Stabilisierendes Element


[29.11.2018] Kleine Wasserkraftwerke stabilisieren das deutsche Stromnetz. Bezogen auf den reinen netztechnischen Beitrag würde ein Verzicht auf diese Anlagen Mehrkosten von etwa einer Milliarde Euro erzeugen. Das zeigt ein Gutachten der Bergischen Universität Wuppertal.

Cluster von Regionen mit installierten Wasserkraftanlagen auf Grundlage der untersuchten Netzregionen. Der derzeitige Übergang von einer zentral geprägten Energieversorgung durch große, fossil betriebene Kraftwerke hin zu einer regenerativen Versorgung durch eine Vielzahl dezentraler Erzeugungsanlagen stellt das Energiesystem vor große Herausforderungen. Es müssen zum einen Speichertechnologien weiterentwickelt werden, um den regenerativen Strom zwischenzuspeichern. Zum anderen ist die bestehende Struktur der Energieversorgungsnetze an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Einen erheblichen Beitrag zu einer erfolgreichen Energiewende mit sicherer und kostengünstiger Stromversorgung können kleine Wasserkraftwerke leisten. Das wurde in einem Gutachten der Bergischen Universität Wuppertal analysiert. Die Bewertung erfolgt dabei aus Sicht der elektrischen Energieversorgung.
Während Windenergieanlagen (WEA) und Photovoltaikanlagen (PVA) dargebotsabhängig Strom produzieren, also je nach Sonneneinstrahlung und Windstärke, gelten Wasserkraftwerke mit mehr als 5.000 Volllaststunden im Jahr im Wesentlichen als stetige Einspeiser. In Zukunft ist jedoch eine deutlich flexiblere Nutzung dieser Kraftwerke denkbar. Durch erweiterte Regelfunktionen lassen sich kleine Wasserkraftwerke ohne wesentlichen zusätzlichen Aufwand in die entstehenden intelligenten Netze (Smart Grids) integrieren und für verschiedene netzdienliche Funktionen erschließen.
Insbesondere im ländlichen Raum, wo kleine Wasserkraftwerke vornehmlich zu finden sind, ist die Gewährleistung der erforderlichen Spannungsqualität eine bedeutende Herausforderung. Kleine Wasserkraftwerke können durch die kontinuierliche und gleichmäßige Einspeisung sehr viel Energie liefern, ohne das Toleranzband der Spannung zu verletzen. Sie unterstützen zudem die Spannungshaltung in Zeiten schwacher regenerativer Einspeisung bei erhöhter Last.

Übertragungsverluste gering halten

Beim Transport von elektrischer Energie über weite Strecken sind Übertragungsverluste unvermeidbar. Ein wesentlicher Vorteil der Energiewende besteht auch darin, durch eine breit aufgestellte, dezentrale Einspeisestruktur die erforderliche Menge an zu transportierender Energie und damit die entstehenden Verluste deutlich zu reduzieren. Je kürzer die (Netz-)Entfernung zwischen Erzeuger und Verbraucher ist, desto geringer sind die Verluste. Hier kommt den kleinen Wasserkraftwerken ebenfalls eine entscheidende Bedeutung zu. In der Vergangenheit haben sich nämlich viele Industrie- und Gewerbebetriebe entlang der Gewässer angesiedelt und die Kraft des Wassers für ihre Produktionsprozesse genutzt. Dadurch liegt die Erzeugung des Wasserkraftstroms nah am Verbrauch. Abgesehen von der Reduzierung von Übertragungsverlusten generell, kann durch eine dezentral geprägte Einspeisestruktur auch der Bedarf für den Ausbau des Transportnetzes abgemildert werden. Darüber hinaus trägt die im Vergleich zu Photovoltaik- und Windkraftanlagen verlässliche lokale Einspeisung von kleinen Wasserkraftwerken grundsätzlich zu einer Reduzierung der über weite Strecken zu übertragenden (Ausgleichs-)Energiemenge bei, wodurch die Netzverluste auf allen Spannungsebenen des Energieversorgungssystems verringert werden können.

Versorgungssicherheit signifikant erhöhen

Mehrere dezentrale Einspeiser, insbesondere mit verschiedenen Energieträgern, können zu einem so genannten virtuellen Kraftwerk zusammengeschlossen werden. Mit diesem können Versorgungssicherheit, Marktfähigkeit und Netzstabilität in der Stromversorgung der Zukunft signifikant erhöht werden. Wasserkraftanlagen sind dank ihrer Eigenschaften ein idealer Bestandteil dieser Kraftwerke, die im Vergleich zu Großkraftwerken flexibler sind. Dadurch kann die Produktion sehr schnell an die Residuallast angepasst werden. Zudem können sie Gesamtwirkungsgrade von über 90 Prozent erzielen. Darüber hinaus spielen verlässliche Einspeiser wie Wasserkraftwerke beim Versorgungswiederaufbau nach einem großflächigen Netzausfall (Blackout) eine bedeutende Rolle. Ein Ansatz zum Wiederaufbau des Gesamtsystems in einem solchen Fall setzt auf kleine, stabile Versorgungsinseln, die beispielsweise durch virtuelle Kraftwerke aufgebaut und gestützt werden. Als Teil solcher Inselnetze können kleine Wasserkraftwerke – bei ausreichender Leistungsfähigkeit – einen wertvollen Beitrag leisten.
Die Potenziale der so genannten dynamischen Stauraumbewirtschaftung können genutzt werden, um die ohnehin sehr gute Regelbarkeit der kleinen Wasserkraftwerke noch zu steigern. Durch ein flexibel einsetzbares Stauvolumen kann eine weitergehende Entkopplung von natürlichem Abfluss und elektrischer Energieerzeugung der Laufwasserkraftwerke erreicht werden. Damit können Wasserkraftwerke vor allem im kurzzeitig flexiblen Betrieb beispielsweise zur Bereitstellung von Regelleistung zur Frequenzregelung im Verbundnetz beitragen. Abgesehen davon bietet sich die Teilnahme an so genannten regionalen Flexibilitätsmärkten an, die zunehmend Gegenstand der Forschung sind. Auf lokaler Ebene könnten kleine Wasserkraftwerke direkt zur Systemstabilität beitragen, ohne am bestehenden Regelleistungsmarkt anzubieten, was nur mit deutlichem Mehraufwand im Verbund mit vielen weiteren Anlagen möglich ist.

Netztechnischer Beitrag

Um insbesondere den netztechnischen Beitrag der kleinen Wasserkraft zu bewerten, wurde in dem Gutachten untersucht, wie sie zur Reduktion der Netzausbaukosten beiträgt. Dafür wurde der Status quo der Einspeisesituation mit dem hypothetischen Wegfall von installierten kleinen Wasserkraftwerken aus dem Erzeugungsmix verglichen.
Für die Untersuchungen wurden geeignete Netzstrukturen aus ganz Deutschland ausgewählt und vergleichende Zielnetzplanungen durchgeführt. Beim hypothetischen Wegfall der Wasserkraft wurden die entsprechenden Kraftwerke in den Netzberechnungen je nach Spannungsebene und regionalen Besonderheiten durch Windenergie- und Photovoltaikanlagen ersetzt. Die installierte Leistung wurde so bestimmt, dass die WEA und PVA die Wasserkraftanlagen in der Jahresschau energetisch ersetzen. Durch die geringere Volllaststundenzahl dieser volatilen Einspeiser ist die installierte Leistung, die das hauptsächliche Auslegungskriterium in der Netzplanung darstellt, um das drei- beziehungsweise 5,5-fache höher als ohne Wasserkraft. Um dabei einen sicheren und zulässigen Netzbetrieb zu gewährleisten, sind die Netze in den untersuchten Regionen aufgrund der erhöhten Netzbelastung zu ertüchtigen. Dafür sind zusätzliche Betriebsmittel wie Kabel oder Transformatoren höherer Leistungsklassen ins Netz zu integrieren. Die hierfür anfallenden Kosten werden summiert und als Bewertungskriterium herangezogen.

Höchste spezifische Netzausbaukosten im Bayerischen Alpenvorland

Um eine Hochrechnung der Ergebnisse der spezifischen Netzanalysen auf Deutschland zu ermöglichen, wurden die untersuchten Netze auf Basis struktureller und geografischer Kriterien in verschiedene Cluster eingeteilt: Bayerisches Alpenvorland (1), Schwäbisches Alpenvorland (2), Mitteldeutsches Mittelgebirge (3), Westdeutsches Mittelgebirge (4) sowie Allgemeines Flusstal (5). Als prägender Faktor geht dabei insbesondere die installierte Wasserkraftleistung in die Bestimmung der Cluster ein. Die für jedes ermittelte Netz absoluten Netzausbaukosten wurden auf Basis der installierten Wasserkraftleistung gewichtet und dieser Wert als spezifische Netzausbaukosten dem entsprechenden Cluster zugeordnet. Die höchsten spezifischen Netzausbaukosten weist das Cluster Bayerisches Alpenvorland mit 847 Euro je Kilowatt (kW) installierte Wasserkraftleistung auf, die niedrigsten das Cluster Schwäbisches Alpenvorland mit 64 Euro je kW.
Anschließend wurden die spezifischen Netzausbaukosten mit der insgesamt je Cluster installierten Leistung kleiner Wasserkraft skaliert, um die je Cluster anfallenden Netzausbaukosten zu erhalten. Da die ermittelten Cluster alle Regionen Deutschlands mit installierter Wasserkraft repräsentieren, ergibt die Summe über alle Cluster die deutschlandweiten Netzausbaukosten auf Basis der Modellannahmen. Im Durchschnitt aller Cluster resultieren übergreifend über die Nieder- und Mittelspannungsebene spezifische Investitionskosten von rund 574 Euro je Kilowatt installierter Wasserkraftleistung. Diese variieren jedoch stark zwischen den einzelnen Clustern – von 120 Euro je kW bis zu 850 Euro je kW. Multipliziert mit der installierten Wasserkraftwerksleistung je Cluster ergeben sich somit deutschlandweit summierte Netzausbaukosten von rund 762 Millionen Euro.

Stetige Wirk- und Blindleistung

Hinzu kämen, sollten die kleinen Wasserkraftwerke wegfallen, weitere signifikante Ausbaukosten der Hochspannungsnetze, Aufwendungen für zusätzliche Netzkomponenten wie Speicher und Regelungsanlagen zur Erbringung einer stetigen Wirk- und Blindleistung sowie erhöhte Netzverluste von etwa vier bis sechs Prozent in den betroffenen Netzen. In Summe würde ein Verzicht auf kleine Wasserkraftanlagen Mehrkosten von etwa einer Milliarde Euro erzeugen.
Eine zunehmende Versorgung mit erneuerbaren Energien lässt sich kostengünstiger und einfacher gestalten, wenn langfristig auch verlässliche regenerative Einspeiser wie Wasserkraftwerke zur Kompensation der wegfallenden fossilen Kraftwerke eingesetzt werden. In Deutschland stellen topografisch und klimatisch bedingt Photovoltaik- und Windenergieanlagen den höchsten Beitrag an erneuerbarer Energie bereit. Der stetige Zuwachs dieser volatilen Einspeiser führt jedoch zu steigenden Netzausbau-, Speicher- und Regelungskosten.

Anreize schaffen

Kleine Wasserkraftwerke können bei dieser Entwicklung einen wertvollen Beitrag leisten. Neben ihrer Eigenschaft als kostengünstiger und verlässlicher Energieerzeuger erhöhen sie die Versorgungsqualität durch ihre gute Regelbarkeit und können – bei entsprechender Anpassung – sogar im Falle eines großflächigen Blackouts lokal die Versorgung aufrechterhalten beziehungsweise wieder aufbauen. Sie reduzieren sowohl den Netzausbaubedarf auf Verteilnetzebene als auch die Netzverluste erheblich. Im Falle eines Wegfalls der kleinen Wasserkraftwerke kämen weitere signifikante Ausbaukosten der überlagerten Netzebenen sowie Aufwendungen für zusätzliche Netzkomponenten hinzu. Bezogen auf den reinen netztechnischen Beitrag würde ein Verzicht auf kleine Wasserkraftanlagen Mehrkosten von etwa einer Milliarde Euro erzeugen.
Die Wasserkraft leistet also einen verlässlichen Beitrag zu einer volkswirtschaftlich effizienten und regenerativ geprägten Energieversorgung. Infolgedessen liegt es nahe, die kleine Wasserkraft im Energiesystem zu erhalten und nach Möglichkeit sogar auszubauen sowie zu überprüfen, inwieweit Anreize zur Bereitstellung der systemstützenden Eigenschaften geschaffen werden können.

Prof. Dr. Markus Zdrallek und Julian Wruk

Prof. Dr. Markus Zdrallek, Julian Wruk
Professor Dr.-Ing. Markus Zdrallek, der in leitenden Funktionen bei RWE tätig war, ist Professor an der Bergischen Universität Wuppertal und Leiter des Lehrstuhls für Elektrische Energieversorgungstechnik. Julian Wruk kam nach Wirtschaftsingenieurwesen-Studium und Tätigkeit bei PriceWaterhouseCoopers als wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesen Lehrstuhl.

http://www.evt.uni-wuppertal.de
Gutachten der Bergischen Universität Wuppertal (PDF, 1,6 MB) (Deep Link)
Dieser Beitrag ist in der November/Dezember-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Wasserkraft, Bergische Universität Wuppertal

Bildquelle: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie

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