[2.5.2013] Ihre Blockheizkraftwerke (BHKW) steuern die Stadtwerke Aalen zentral in einem virtuellen Kraftwerk. Da dieses auf Wärmelastprognosen verzichtet, kann es einfach und kostengünstig betrieben werden.
Die zunehmende dezentrale Stromerzeugung mit Blockheizkraftwerken (BHKW), Photovoltaik- und Windkraftanlagen stellt eine große Herausforderung für den sicheren, wirtschaftlichen und umweltfreundlichen Betrieb der Stromnetze und die Versorgungssicherheit dar. Einerseits häufen sich Zeiten, in denen die Stromproduktion größer als der Verbrauch und somit in Teilen des Netzes zu viel Strom vorhanden ist. Andererseits treten auch wetterbedingte Flauten auf, in denen die erneuerbaren Energien keinen Beitrag zur Stromerzeugung leisten. Dann müssen konventionelle Kraftwerke, Blockheizkraftwerke oder Stromspeicher den benötigten Strom bereitstellen. Früher waren nur wenige Großkraftwerke zu steuern. Jetzt gilt es, vermehrt auch die vielen dezentralen Stromerzeugungsanlagen zentral zu bewirtschaften. Hierfür sind virtuelle Kraftwerke erforderlich.
Eine Definition der Bezeichnung virtuelles Kraftwerk hat sich bislang noch nicht etabliert. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) werden bei einem virtuellen Kraftwerk dezentrale Energieerzeugungsanlagen, Speicher und steuerbare Energieverbraucher durch Kommunikationstechniken mit einem zentralen Energie-Management-System verbunden, mit dem die gebündelte Steuerung der Komponenten nach wählbaren Vorgaben möglich ist. In Anlehnung an diese Definition haben die Stadtwerke Aalen Überlegungen zum Einsatz eines virtuellen Kraftwerkes angestellt.
Kraftwerk mit Zusatzvorteil
Die Stadtwerke Aalen betreiben seit vielen Jahren Blockheizkraftwerke, um einen möglichst großen Stromanteil umweltfreundlich zu erzeugen. Diese kommen in Heizzentralen zum Einsatz, wo sie die konventionellen Kessel ergänzen. Blockheizkraftwerke werden in der Regel an der Wärmenachfrage orientiert betrieben. Da sich damit auch die Stromproduktion nach dem Wärmebedarf richtet, erfolgt sie auch dann, wenn kein Strom benötigt wird oder im Überfluss zur Verfügung steht. Durch den BHKW-Zubau bei gleichzeitigem Ausbau der Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenkraft wurde es erforderlich, die Blockheizkraftwerke nicht mehr nur wärme-, sondern auch stromoptimiert zu betreiben. Dies ermöglicht eine zentrale BHKW-Steuerung in virtuellen Kraftwerken, wodurch der Betrieb in die Zeiten verlagert werden kann, in welchen auch Strom benötigt wird. Wärmespeicher ermöglichen es dabei, dass Strom und Wärme gekoppelt und effizient erzeugt werden und die Wärmeversorgung sichergestellt ist.
Da für die zentrale Steuerung keine ausgereiften und bezahlbaren Software-Produkte verfügbar waren, haben die Stadtwerke Aalen in Kooperation mit der Firma ABGnova aus Frankfurt, einer Contracting-Tochter des Versorgungsunternehmens Mainova, im Jahr 2010 die Firma cbb software mit der Entwicklung eines virtuellen Kraftwerkes beauftragt. Nach einer zweijährigen Entwicklungs- und Testphase steht jetzt ein ausgereiftes und praxiserprobtes virtuelles Kraftwerk zur Verfügung, welches bei den Stadtwerken Aalen und bei ABGnova zum Einsatz kommt. Weitere Stadtwerke sowie größere in- und ausländische Energieversorger planen, die Lösung ebenfalls zu nutzen.
Keine Wärmelastprognosen
Herausragendes Merkmal der Aalener Anlage ist die einfache Bedienung bei gleichzeitig geringen Kosten. Erreicht wird dies durch den Verzicht auf Wärmelastprognosen, auf die andere Konzeptionen setzen, um die Stromproduktion im BHKW zu einem gewünschten Zeitpunkt sicherzustellen. Das bedeutet beispielsweise, das Kraftwerk auch dann zu betreiben, wenn keine Wärme benötigt wird und in den Speicher eingelagert werden muss. Üblicherweise wird über die Wärmelastprognose die Fahrweise im Vorfeld so ausgerichtet, dass der Wärmespeicher geleert wird. Anders die Vorgehensweise in der von cbb software programmierten Anlage: Durch eine gesteuerte Speicherentleerung im Vorfeld steht zum erforderlichen Zeitpunkt stets ein leerer Wärmespeicher zur Verfügung – und dies ohne Wärmelastprognose. Die zeitgerechte Bewirtschaftung des Wärmespeichers durch das BHKW ist der Erfolgsfaktor für seine Funktionalität. War der Speicher früher nur erforderlich, um eine Mindestlaufzeit des BHKW nach dem Start sicherzustellen, dient er heute auch der stromgeführten Betriebsweise. Der erzielbare Nutzen wächst dabei mit dem Wärmespeichervolumen.
Die Konzentration auf die zeitliche Verschiebung der Laufzeit von BHKW ermöglicht den Aufbau eines betriebsfertigen virtuellen Kraftwerks mit einer Investition von nur etwa 70.000 Euro. Zudem werden in dem neu entwickelten Kraftwerk keine Daten redundant verwaltet, die aufgrund von Gesetzen und Verordnungen bereits über die bestehende Marktkommunikation des Stromnetzes erfasst werden müssen. Diese abrechnungsrelevanten Daten können über die gesetzlich vorgegebenen Formate eingelesen und abgerufen werden. Für den Betrieb des virtuellen Kraftwerks sind sie aber nicht zwingend erforderlich.
Für die Zukunft gerüstet
Das virtuelle Kraftwerk ist bereits für zukünftige Aufgaben gerüstet. So wird etwa unter dem Schlagwort Power-to-Heat vermehrt diskutiert, überschüssigen Strom in der Wärmeproduktion einzusetzen. Darin wird eine weitere Möglichkeit gesehen, die dringend erforderliche Flexibilität im Stromnetz zum Ausgleich der fluktuierenden regenerativen Stromerzeugung zu ermöglichen. Außer Blockheizkraftwerken können mit dem konzipierten virtuellen Kraftwerk auch Elektroheizer, Stromverbraucher und andere Stromerzeuger gesteuert werden. Mithilfe ihres virtuellen Kraftwerks können die Stadtwerke Aalen jetzt aktiv die dezentrale Stromerzeugung mit Blockheizkraftwerken vorantreiben.
Cord Müller ist seit 2008 Alleingeschäftsführer der Stadtwerke Aalen und Werkleiter des Eigenbetriebs Stadtwerke Aalen Abwasserentsorgung.
http://www.sw-aalen.deDieser Beitrag ist in der April-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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